Rachid Azzouzi über den FC St. Pauli: „Verein mit allen Facetten aufsaugen“
Das Ziel des FC St. Pauli heißt: Aufstieg. Sportchef Rachid Azzouzi über fehlende Identifikationsfiguren und die Angst der Spieler vor der Begeisterung der Fans.
taz: Herr Azzouzi, warum wird der FC St. Pauli kommende Saison erfolgreicher auftreten?
Rachid Azzouzi: Wir haben eine entwicklungsfähige Mannschaft mit Qualität, die schon in der abgelaufenen Spielzeit an die Tür zur Bundesliga angeklopft hat.
Aber in der zweiten Saisonhälfte stagnierte die Leistung – vor allem am Millerntor.
Die positive Energie, die hier im Stadion herrscht, scheint für die junge Mannschaft zur Belastung geworden zu sein. In den Köpfen hat sich offenbar festgesetzt: Die Fans sind so gut zu uns und wir enttäuschen sie. Beim ersten Negativerlebnis im Spiel setzte oft schon eine Verkrampfung ein.
Wie lautet das sportliche Ziel für die Saison 2014/2015?
Wir wollen immer zu den Top 25 des deutschen Fußballs gehören und im Laufe der nächsten Jahre in die Bundesliga aufsteigen. Seit einem Jahr haben wir den Kern des Teams zusammen und mit langfristigen Verträgen ausgestattet. Wir trauen der Mannschaft den Aufstieg auf Sicht zu, denn sie hat das Potenzial.
Nach personellem Umbruch folgt nun also Kontinuität?
Wir wollen den Kader in den kommenden Jahren nur noch punktuell verändern. Diese Mannschaft kann viel und soll zusammenwachsen. Dann werden sich die Fans stärker mit den Spielern identifizieren.
43, ehemaliger marokkanischer Nationalspieler, ist seit Juli 2012 Sportchef des FC St. Pauli.
Mit den Abgängen von Pliquett, Ebbers oder Boll ist der Fundus an Identifikationsfiguren reichlich ausgedünnt.
Spieler, die den Verein über Jahre geprägt haben, kommen irgendwann in ein Alter, in dem Neues entstehen muss. Neue Identifikationsfiguren entstehen aber nicht über Nacht, sondern über eine gemeinsame Geschichte, die Jahre dauert. Das war auch bei den genannten Spielern nicht anders. Nur so kann Identifikation entstehen, die ehrlich ist. Wir könnten natürlich auch Spieler holen, die nach dem dritten Spiel das Vereinsemblem auf ihrem Trikot küssen – aber das will hier doch keiner.
Nun rufen viele nach Typen und mündigen Spielern. Bringen meinungsstarke Spielerpersönlichkeiten, die sich mit politischen und vereinsinternen Fragen – etwa in den sozialen Netzwerken – auseinandersetzen, aus Sicht des Sportchefs zu viel Unruhe in den Verein?
Ich mag starke Persönlichkeiten, nur mit ihnen kann ich auf dem Platz viel erreichen. Soziale Netzwerke sind ein schwieriges Thema, weil du Sachen machst, die du schnell bereust, dann aber nicht mehr aus der Welt bekommst. Entscheidend ist, dass unter solchen Aktivitäten Spieler und Verein nicht leiden dürfen.
Gehört es zu solchen Aktivitäten, dass ehemalige Spieler via Facebook das Trainerteam kritisiert haben, weil es Fabian Boll kurz vor Ende seiner Karriere nicht in den Kader berufen hat?
Spieler, die mal hier waren, haben das gute Recht, sich zu aktuellen Entwicklungen im Verein kritisch zu äußern. Doch das hat eine negative Stimmung angefacht, zu einem Zeitpunkt, an dem wir noch aufsteigen konnten. Vielleicht wäre es klüger gewesen, die Ex-Spieler hätten noch dieses eine Spiel abgewartet, bevor sie sich öffentlich äußern.
Welchen Anteil nehmen Sie als Sportchef an der Fankultur des Vereins?
Als ich nach Hamburg kam, habe ich nicht alle Fanprojekte abgeklappert und versucht, mich mit allen wichtigen Leuten gut zu stellen. Ich bin ein nahbarer Typ, viel im Stadtteil unterwegs, fast immer ansprechbar und ich versuche, den Verein in all seinen Facetten aufzusaugen. Hineinwachsen ist ein organischer Prozess. Wenn Menschen, die schon sehr lange im Verein sind, erwarten, dass alle Neuankömmlinge genauso ticken wie sie, wird das nicht funktionieren.
Sie meinen Fans, die jede Veränderung als Gefahr bewerten?
Alles Neue macht ja auch Angst, weil man seine Komfortzone verlässt. Die Frage lautet: Wie kannst du den Kern erhalten und zeitgleich notwendige Veränderungen zulassen? Ich höre im inneren Kreis oft die Klage, der FC St. Pauli sei ein x-beliebiger Klub geworden. Die Außenwahrnehmung aber ist eine komplett andere. Wir haben zwei Millionen Fans und 19 Millionen Sympathisanten auf der ganzen Welt. Diese Wertschätzung gibt es nur, weil gesehen wird, dass der Verein um den Erhalt der Werte kämpft, die ihn prägen.
Sie sind jetzt zwei Jahre hier: Wo steht der Verein in zwei Jahren?
Das Stadion wird fertiggebaut sein und ich hoffe, wir klopfen so energisch an die Tür zur Ersten Bundesliga, dass sie aufspringt. Und auch 2016 wird es noch darum gehen, die Werte, für die der Verein steht und die Anforderungen des Profifußballs in Einklang miteinander zu bringen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!