piwik no script img

■ Dudajews Tod wird Tschetschenienkrieg nicht beendenRache für den Märtyrer

„Mit oder ohne Dudajew werden wir in Tschetschenien Frieden machen, es wird keinen Krieg mehr geben.“ Mehr fiel dem russischen Präsidenten Boris Jelzin zum Tod des tschetschenischen Rebellenführers, des Staatsfeindes Nummer eins, des „Terroristen“ und „Banditen“ nicht ein. Statt dessen produzierte die russische Führung lieber wieder leere Worthülsen: Man wolle den eingeschlagenen Weg des Friedensplanes – welches Friedensplanes? – weitergehen. Der Kreml setzt also weiter auf die Doppelstrategie aus Verhandlungsangeboten und, natürlich, Militäraktionen.

Besonders letztere wird Jelzin, so ihm auch weiterhin kein brauchbares Konzept einfällt, wohl auch künftig brauchen. Denn im Augenblick sieht es nicht so aus, als ob der Tod Dudajews einen Machtkampf unter den Rebellen auslösen und damit zu einer Schwächung des Widerstandes in der abtrünnigen Kaukasusrepublik führen wird. Das wäre für Rußland zwar praktisch, könnte es sich so des leidigen Problems bequem entledigen. Und Jelzin könnte sich knapp zwei Monate vor den Präsidentenwahlen damit brüsten, den Makel des sinnlosen Krieges loszusein. Doch diese Taktik wird nicht aufgehen.

Schon jetzt haben die tschetschenischen Rebellen Rache für den Tod Dudajews angedroht. Und Rache war von jeher eines der treibenden Motive für das monatelange Gemetzel. Auch der Nachfolger Dudajews, Selimchan Jandarbijew, gilt eher als Hardliner, der sinnlosen und zähen Verhandlungen mit Moskau, deren Modus noch immer nicht geklärt ist, die militärische Konfrontation vorzieht.

Die Ankündigung von Wagap Tutakow, des Moskauer Repräsentanten von Dudajew, der Kampf werde jetzt mit dreifacher Energie fortgesetzt, wird bei Jandarbijew deshalb sicher auf offene Ohren stoßen. Denn viel Spielraum hat er ohnehin nicht, will er sich der Unterstützung von so hartnäckigen Kämpfern wie Schamil Basajew versichern. Und für jene, wie für viele andere Gleichgesinnte auch, ist die Option für die Zukunft eindeutig: Krieg, auch um den Preis weiterer hoher Verluste.

Die Rebellen haben für Tschetschenien eine dreitägige Staatstrauer ausgerufen. Das ist genau das richtige Klima, in dem Dudajew zum Volkshelden und Märtyrer stilisiert werden kann. Und den Märtyrer gilt es zu rächen, mit aller Konsequenz. Da mag der Kampf noch so aussichtslos sein. Barbara Oertel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen