berliner szenen: Rabatt schürt die Konkurrenz
Im Schaufenster nur noch nackte Puppen. Vor dem Geschäft haben sich etwa 15 Frauen angestellt. Jede, die hinzukommt, versucht erst mal mit einem Blick durch die Scheibe zu erkennen, was im Ladeninneren noch zu holen ist. Anstehen in der Friedrichstraße, wie zu Ostzeiten, wenn auch zu anderen Preisen. Jetzt schließt auch dieses Geschäft, eine Edelboutique, 70 Prozent Preisnachlass sind plakatiert.
Erst wenn eine Kundin den Laden verlässt, darf die nächste rein. Bei einer durchschnittlichen Verweildauer von zehn Minuten kann das ewig dauern. Die Wartenden scheinen sich darauf eingerichtet zu haben. Unruhe entsteht erst, als eine Frau angehetzt kommt, an die Scheibe klopft und sofortigen Einlass verlangt. Mürrische Blicke treffen sie, als ihr die Tür geöffnet wird. Sie hat doch schon eine gefüllte Papiertüte mit dem Firmenlogo in der Hand. Die Schlange beruhigt sich, als die Frau sofort wieder draußen ist. Sie winkt mit einem Umschlag, den sie drinnen vergessen hatte.
Jetzt passiert lange gar nichts. Manche gucken schon ganz apathisch. Komisch, dass auch zwei Mädels dabei sind – die Marke ist eigentlich viel zu damenhaft für sie. Die beiden spekulieren, ob das, was sie gerade auf der Homepage gefunden haben, noch im Angebot ist, und reißen die Augen auf, als endlich wieder eine Kundin herauskommt. Ihr Anorak scheint gar nicht zum Laden zu passen, aber der Einkauf muss erfolgreich gewesen sein, sie hält eine extragroße Tasche in der Hand, so voll, dass der Logo-Aufdruck schon ausbeult.
Ihr Fahrrad steht direkt vor der Tür, sie bugsiert die Tasche auf den Gepäckträger, begleitet von missgünstigen Blicken der Wartenden. Sie hätten sich ihren Neid sparen können. Die Tasche gerät in Schieflage und ein herausfallender Bügel offenbart die gesamte Errungenschaft: Bügel, Bügel, Bügel.
Claudia Ingenhoven
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