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RYSZARD KRYNICKI

Der in Posen lebende, 47 Jahre alte Dichter wirkt im Gespräch ernst und bedächtig. Es dauert seine Zeit, bis er etwas sagt. Was er dann sagt, ist direkt, präzise, lakonisch und mitunter von der moralischen Entrüstung getragen, die auch viele seiner Gedichte auszeichnet. Krynicki verkörpert die seltene Mischung des Melancholikers und Aktivisten. Karl Dedecius, Krynickis Übersetzer ins Deutsche, nennt seine Gedichte „Diagnosen, Zeugenaussagen, Anklageschriften“. Das trifft besonders auf die längeren Gedichte zu, die unmittelbar Erfahrungen ansprechen, die er in der Solidarność-Bewegung gesammelt hat. Von 1976 bis 1980 mit Druckverbot belegt, war er ab 1981 Redakteur der 'Solidarność‘ in Posen und mußte wegen unliebsamer Artikel immer wieder ins Gefängnis. In seiner Lyrik versucht er, die Wirklichkeit jener kurzen Epoche in Polen, der Zeit des Kriegsrechts, einzufangen, deren Namen und deren Ereignisse heute schon wieder halb vergessen sind. Die Dinge sind „eingerahmt von der deutlichen Kontur des Nichts“ (so Adam Zagajewski, neben Krynicki bedeutendster Repräsentant der um 1945 geborenen Generation polnischer Lyriker) oder — wie es Krynicki formulierte —: „Rauschen, Krach, Lärm / des Störsenders. Das Nichts arbeitet.“ Lyrik scheint für ihn dennoch Trauer- und Hoffnungsarbeit leisten zu können, doch ohne je pathetisch oder exaltiert zu sein. Pathos ist Unklarheit und Unklarheit schon gefährlich nah an der Illusion. Immer versucht Krynicki, Abstand zum Staat, zu „Systemen“ überhaupt zu halten, indem er ihnen die Authentizität eines individuellen lyrischen Sprechens entgegenstellt. Joachim Sartorius

Bibliographische Hinweise: Eine Auswahl seiner Gedichte findet sich in der Anthologie Ein Jahrhundert geht zu Ende · Polnische Gedichte der letzten Jahre , Frankfurt 1984, und in den 'Akzenten‘ 1/90. In Kürze erscheint im Suhrkamp-Verlag ein von Karl Dedecius herausgegebener Gedichtband Wunde der Wahrheit. — Alle Gedichte auf dieser Seite sind von Karl Dedecius aus dem Polnischen übertragen.

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