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Archiv-Artikel

RUMGENÖRGELT, ANGEKOMMEN, BEGEISTERT… ASSIMILIERT Eine schönere Realität

VON FATMA AYDEMIR

Wer nach Abschluss eines geisteswissenschaftlichen Studiums nicht an seiner Dorf-Uni bleibt, der geht in die Werbebranche oder nach Berlin. Oder beides. Wer nichts von dem will, kann sich mit seinem Einsnuller-Magister-Artium den Hintern abwischen, während der Laptop unentwegt zynische US-Serien streamt, deren Plots diesen Umstand schön auf den Punkt bringen: Weisheit ist eigentlich für’n Arsch.

Nicht, dass es in Berlin einen Überschuss an Jobs gäbe. Es gibt nur so viel Bewegung, so viele Dinge, die man tun kann, dass man leicht vergisst, dass man eigentlich nichts tut. Außerdem trifft man genügend Menschen, denen es ähnlich geht. Mit denen kann man Kaffeetrinken und Weisheiten austauschen, die dann ja doch irgendwie nützlich werden.

Ich bin eher zufällig hier gelandet. Wenn mal wieder jemand verkündete, er wolle nach Berlin ziehen, war ich diejenige, die am lautesten ächzte: „Och, da gehen doch alle hin. Wie langweilig ist das denn.“ Und es ist wirklich so: Künstler, Hipster, Arbeitslose, Einfallslose, alle jungen Menschen zieht es magnetisch in diese Stadt. Selbst die, die nicht gehen, sagen dauernd: „Eigentlich will ich ja nach Berlin ziehen.“ Alter, dann geh doch!

Nun ja. Meiner Anti-Attitüde zum Trotz hat der Mainstream letztlich auch mich mitgespült. Man könnte von Zufall sprechen, vom Schicksal, oder einfach von pragmatischer Faulheit. Eine Matratze für lau, im Kinderzimmer meiner frühpubertären Cousins am Leopoldplatz und ein Praktikumsangebot von der taz haben jedenfalls genügt, um mich hierher zu locken. Erst auf Zeit. Ich bin geblieben und es ist gar nicht mal so schlecht.

Berlin hat nämlich das, was man eigentlich in L.A. vermutet: das Gefühl, man würde ständig durch ein Filmset spazieren. Der Hochglanz-DJ-Verschnitt in der Kreuzberger Szenebar, der farblich mit der Einrichtung abgestimmt ist: Der ist doch gecastet! Die türkischen Hausfrauen, die sich am Vormittag heimlich, aber nicht unauffällig, in Weddinger Cafés treffen, um sich Psychoanalyse aus dem Kaffeesatz zu filtern: Das gibt’s doch nur in Seifenopern! Das Berghain: das ist doch das Set für die Neuauflage von „Blade“!

An allen Ecken der Stadt sieht und hört man Dinge, die so eindeutig sind und in denen so viel Pose steckt, dass sie artifiziell wirken. Wie im Film. Und was ist ein Film anderes, als eine schönere Realität? Richtig manipulativ wird die aber erst, wenn auch noch jeder ständig erzählt, wie schön diese Realität ist, sprich: wie geil Berlin eigentlich ist.

Alle Berliner bemitleiden sich gegenseitig für die Käffer, aus denen sie stammen. München ist versnobt, Frankfurt prollig und Stuttgart einfach öde. Nur gut, dass wir alle in Berlin leben. Ja, ich bin auch schon soweit, das zu sagen. Huch, ging aber schnell: Rumgenörgelt, angekommen, begeistert und vollkommen assimiliert.

Nur diese blöde Gentrifizierung geht einem ganz schön auf die Nerven. Ich bin schon seit sechs Monaten da und habe immer noch keine bezahlbare Wohnung in einem netten Kiez gefunden. Dafür habe ich aber eine Lösung für das Gentrifizierungsproblem. Die kam mir neulich, als ich wieder in irgendeinem Hauseingang auf die Wohnungsbesichtigung wartete, völlig distanziert, um ja keine Sympathie zu einem meiner 30 Konkurrenten zu entwickeln: Vielleicht sollten wir alle einfach mal die Klappe halten, anstatt in der Welt herum zu posaunen, dass Berlin so unfassbar geil ist. Kein Wunder, dass die alle kommen und dann nicht mehr weg wollen und dann auch noch die schönsten Stadtteile besetzen. Ich glaube, ich bin im falschen Film.