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Archiv-Artikel

ROSENHOLZ-DOKUMENTE: WER SPIONIERTE, WOLLTE MEIST KEIN GELD Gründe für linke Schnüffel-Mentalität

„50.000 Stasi-Mitarbeitern droht Enttarnung!“ Gegenüber solchen marktschreierischen Schlagzeilen gilt es festzuhalten, dass die Personen- und Vorgangskartei der Hauptverwaltung Aufklärung der Stasi mit dem schönen Namen „Rosenholz“, die sich in der Wendezeit die CIA unter den Nagel gerissen hatte, mittlerweile von deutscher Seite ausgewertet ist, dass insbesondere die in der Bundesrepublik und Westberlin tätig gewesenen Agenten nahezu vollständig enttarnt sind. Welche Fragen von öffentlichem Interesse bleiben also noch?

Zum einen die, welchen Nutzen die DDR aus ihrer Spionagetätigkeit in Deutschland-West gezogen hat. Militärisch und ökonomisch war sie sicher erfolgreich, aber in politischer Hinsicht? Wäre die Friedensbewegung der 80er-Jahre ohne die Tätigkeit von DDR-Agenten wirklich zu anderen Einschätzungen gelangt, zum Beispiel hinsichtlich der weltweit repressiven Rolle der Sowjetunion? Da sind Zweifel angebracht.

Wir sollten die Fragestellung einmal umdrehen. Welchen Nutzen hatte die Arbeit für die HVA eigentlich für ihre informellen Mitarbeiter im Westen? Den Berichten von Führungsoffizieren zufolge waren nur für 27 Prozent der IMs die Finanzen ausschlaggebend. 60 Prozent taten ihre Arbeit aus politischer Überzeugung. Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass diese Zahlen aus ideologischen Gründen geschönt waren, sollten sie Anlass zum Nachdenken bilden. Die vielen enttarnten Studenten, Journalisten und anderen Geisteswerkler, die bei der Stasi andockten, machen eine utilitaristische Moral geltend, nach der alle Mittel recht sind, die den Sieg des Proletariats befördern.

Aber hinter dieser Rechtfertigung steht das alte Verlangen vieler Intellektueller, sich der Staatsmacht anzudienen, um mit ihr im Rücken der vielen Zweifel und Unsicherheiten Herr zu werden, die nun mal mit ihrer Art von Broterwerb verbunden sind. Um diese Haltung besser zu verstehen, ihr künftig besser begegnen zu können, werden die zu erwartenden Erkenntnisse aus dem Rosenholz-Komplex über eine ganze Reihe von Personen sehr hilfreich sein. CHRISTIAN SEMLER