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Archiv-Artikel

ROBIN ALEXANDER über SCHICKSALE „Waaaas? Hai? Unmöglich!“

Ein Haifisch-Steak für 6 Euro 50 ist eine gute Gelegenheit zum Probieren. Dachte ich. Die Bedienung leider nicht

Neulich aß ich einen Hai. Zum allerersten Mal in meinem Leben. Vielleicht auch zum letzten Mal.

Und das kam so: Der Freunde Schar verschlug es in ein mexikanisches Restaurant, wie sie zur Zeit an jeder Straßenecke eröffnet werden. Vor Enchiladas, Quesadillas und Burritos kann man sich ja kaum noch retten. In Mexiko City gibt es wahrscheinlich schon kein Corona mehr, weil alles nach Deutschland exportiert wird. Unseren Innenstädten droht die totale Texmexisierung! Stadtentwicklungspolitiker planen deshalb eine Verordnung, nach der zwischen zwei mexikanischen Restaurants immer mindestens ein anderes Gebäude stehen muss.

Der vorige Satz war nur ein Scherz, zudem ein geklauter: Er stammt von Daniela Böhle und geht eigentlich mit Starbucks-Kaffeeläden. So wird es kommen: Ein Starbucks neben einem Texmex-Restaurant neben einem Starbucks neben Texmex, Starbucks, Texmex, Starbucks – das macht die Globalisierung aus unseren gewachsenen Lebensräumen. Es wird schon schwierig, überhaupt noch irgendwo eine anständige deutsche Pizza zu bekommen!

Ich jedenfalls bestelle Hai. Genauer gesagt: ein Haifisch-Steak mit Reis und Salat, das auf der handgeschriebenen Tageskarte für 6 Euro 50 angeboten wird. Eine günstige Gelegenheit, etwas Neues zu probieren – denke ich. Überraschenderweise sieht das die Bedienung, die uns bisher nur durch ihre hennagefärbten Haare auffiel, anders: „Waaaas? Hai? Unmöglich!“. Nachdem sie sich beruhigt hat, erklärt sie, es sei ihr erster Tag in diesem Lokal und sie sei entsetzt, dass hier Haie angeboten werden. Dies müsse sie erst mal mit der Küche diskutieren.

Ich fühle mich sofort ertappt und schuldig. Allein: Was spricht eigentlich dagegen, statt Hühnerbeinen, Rinderrücken oder Schweinebäuchen ein Stück von einem Hai zu essen? Sind Haie vom Aussterben bedroht? Aber sie haben doch gar keine Feinde außer den Menschen. Ist Hai-Essen vielleicht eine von Japanern übernommene schlechte Yuppie-Angewohnheit? „Einige Hai-Arten, z. B. der Katzenhai, der Hammerhai, der Heringshai und der Dornhai haben als Speise traditionell Bedeutung. Der Seeaal und die Schillerlocke sind Hai-Produkte“, erklärt eine Freundin, die zufällig den Buchstaben „H“ in Meyers Großem Taschenlexikon auswendig weiß. Sind Haie vielleicht – ähnlich wie Kälbchen, Lämmlein und Rehkitz – zu süß, um sie zu verspeisen? „Der Hai hätte umgekehrt jedenfalls keine Skrupel, dich zu essen“, meint die kundige Freundin.

Aufklärung naht mit der aus der Küche zurückkehrenden, immer noch entrüsteten Kellnerin: Es geht gar nicht um den Hai. Es geht um die Delfine! „Die Fischindustrie verwendet engmaschige Netze, um Haie zu fangen. In diesen Netzen verfangen sich auch Delfine, die dann hilflos verenden. Sie können die Netze trotz ihres hoch entwickelten Ultraschallgehörs nicht rechtzeitig orten, weil die US-Marine ein neues U-Boot verwendet, dass die Delfine taub gemacht hat.“ Sie habe der Küche versprochen, unsere Bestellung trotzdem aufzunehmen, tue dies jedoch nur unter Protest. Da an unserem Tisch zu diesem Zeitpunkt schon ein Gutteil des deutschen Corona-Imports konsumiert wurde, sind nicht mehr alle mit dem nötigen Ernst bei der Sache. Als mein Haifisch-Steak endlich serviert wird, singen einige „Flipper. Flipper. Freund aller Kinder. Ja dich mögen wir …“. Das trägt nicht zur Entspannung der Kellnerin bei. Ich versuche zu schlichten: „Die engmaschigen, delfintötenden Netze sollen nicht Haie fangen, sondern Tunfische. Ich denke, sie sind einem Irrtum aufgesessen.“ „Nein“, antwortet sie: „Ich bin Fördermitglied bei Greenpeace.“

Da kann man nichts machen. Genüsslich esse ich mein Haifisch-Steak. Guten Gewissens: Denn Hai wird bekanntlich gar nicht industriell gefangen. Sondern von alten Männern, die allein aufs Meer fahren und einen ganzen Tag mit dem Fisch um Leben und Tod kämpfen, nur um ihre endlich erlegte Beute im Sonnenuntergang doch noch tragisch zu verlieren. Aber so etwas will diesen Öko-Romantikern ja nicht in den Kopf.

Ist Hai-Essen okay? kolumne@taz.deMorgen: Matthias Urbach „Der perfekte Kauf“