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Archiv-Artikel

ROBIN ALEXANDER über SCHICKSAL Die U 35 der Gedenk-Nationalmannschaft

Ich fliege nach Israel, um mit anderen jungen Menschen über den Holocaust zu sprechen. Das kann ja heiter werden

Ich sitze im Flugzeug. Wo ich herkomme, steht mein Schreibtisch und es regnet. Wo ich hinfliege, ist Frühling und in meinem Gepäck ist nicht einmal ein Laptop. Den Flug musste ich nicht bezahlen und die freien Tage sind Bildungsurlaub. Ich fliege nach Israel, um über den Holocaust zu reden.

Gott sei Dank bin ich nicht allein. Meine Mitdeutschen sind junge Historiker, Literaturwissenschaftler und Pädagogen, die gemerkt haben, dass sie noch keinen Journalisten in ihrem Projekt haben. In Israel werden wir junge Leute treffen, mit denen uns verbindet, dass ihre Großeltern von unseren Großeltern umgebracht wurden.

Ein Kollege, dem ich von meiner geplanten Reise berichtete, hat mir in einer wütenden E-Mail geantwortet: „So macht Schuldhaben Spaß. Zehn junge Deutsche leiden in der prallen Sonne an der Mordlust ihrer Großväter.“ Als ich meine Reisetasche packte, habe ich deshalb darauf geachtet, dass meine Klamotten nicht nach Urlaub aussehen. Beim Umsteigen auf dem Flughafen von Budapest traue mich kaum, ein Bier zu bestellen. Bis ich sehe, dass ein Dokumentarfilmer, der zu unserer Gruppe gehört, zwei Flaschen Wodka im Duty Free kauft.

Dann treffen wir unsere Partnergruppe. Israelis, die sich mit dem Holocaust beschäftigen, haben drei Heimatorte: ihren eigenen, den der Großeltern oder einer Großtante und das Lager, in dem dieses Familienmitglied umgekommen ist. Ein junger Wissenschaftler aus der deutschen Gruppe hat recherchiert, das sein Großvater an einem Pogrom im Baltikum beteiligt war. Der Dokumentarfilmer hat einen SS-Onkel. Ich kann mich nicht dazu durchringen, es meiner Oma übelzunehmen, dass Adolf Hitler zum Reichskanzler gewählt wurde, als sie elf Jahre alt war.

Auf einer Party wären wir wohl nur zwanzig Leute aus unterschiedlichen Ländern gewesen. Aber hier sind wir Deutsche und Israelis, die über ihre Länder sprechen – und unvermeidlicherweise auch für sie. Das sind die meisten hier nicht gewohnt: Auch ich fühle mich ein bisschen, als wäre ich ohne Ballgefühl und Kondition in die U 35 der Gedenknationalmannschaft berufen worden.

Dieses Spiel hätten die Israelis natürlich leicht für sich entscheiden können. Aber dafür sind sie zu klug. Die Mehrheit der israelischen Gruppe meint, das die Erinnerung an den Holocaust in Israel heute dazu benutzt wird, ein Bedrohungsgefühl aufrechtzuerhalten. Damit werde eine Normalisierung der Beziehungen zu den arabischen Nachbarn verhindert. Die Mehrheit der deutschen Gruppe meint, dass die Erinnerung an den Holocaust in Deutschland langsam zurückgedrängt wird. Damit solle eine Normalisierung als Nationalstaat erreicht werden. Die Kritik eint uns, immerhin.

Spielt die U 35 Israels und die U 35 Deutschlands also auf ein Tor? Oh nein. Den Deutschen ist es wichtig, dass schon zwei Generationen zwischen ihnen und Auschwitz liegen. Den Israelis ist das überhaupt nicht wichtig.

In den Halbzeitpausen gibt es Kaffee und Tee aus dem Bunker. Das ist eine Küche, die mit einer schweren Stahltür und einem Luftschacht versehen ist, wie sie israelische Bauvorschriften vorschreiben, seit deutsche Firmen gute Geschäfte mit Saddam Hussein machten.

Hier gelten die traditionellen, für Außenstehende schwer zu verstehenden Regeln der koscheren Küche. Und die traditionellen, für Außenstehende schwer zu verstehenden Regeln der Nichtraucher. Es ist also nicht erlaubt, zu rauchen, Fleisch zu essen oder im Kühlschrank zu verwahren. Nachdem die erste Wodkaflasche alle ist, erlaubt sich jemand den Scherz, schon auch ein anderer Deutscher hätte im Bunker fleischlos und rauchlos am Holocaust gearbeitet.

Den Witz nimmt niemand krumm. Im Gegenteil: Am Ende unseres Treffen fühlen wir uns wie unter Freunden. Galia, die früher in einer Panzerkompanie der israelischen Armee diente und heute in der Organisation „Frauen für Frauen“ arbeitet, zeigt einigen von uns sogar noch den See Genezareth, wo Jesus über das Wasser ging.

„Israel ist wirklich das Gelobte Land“, sage ich, „wenn sogar Militär und Feminismus so entspannte Menschen hervorbringen.“ „Na dann, Prost“, sagt sie und hebt ihr Glas: „Auf den, der uns zusammengebracht hat: auf Adolf Hitler.“

Fragen an Israel? kolumne@taz.de Montag: Stefan Kuzmany über GONZO