ROBIN ALEXANDER über SCHICKSAL : Drei Männer und kein Baby
Täglich und pünktlich sitzen sie da, tun nichts und beobachten den Spielplatz. Um einen bösen Verdacht auszuräumen, sprach ich sie an – und erfuhr dabei einiges über unseren Sozialstaatvon ROBIN ALEXANDER
Auf dem Spielplatz ist es wie auf der Arbeit. Man trifft ständig die gleichen Gestalten. Um 9 Uhr kommen – immer einzeln – die deutschen Muttis, nachdem sie den Frühstückstisch abgeräumt und eine Maschine Wäsche angesetzt haben. Um 9 Uhr 30 kommen – immer zu zweit – die türkischen Mütter. Um 10 Uhr tauchen – immer in kleinen Gruppen – die Albanerinnen auf. Und um 10 Uhr 30 immer in Scharen – die Kita-Kinder mit ihren Erzieherinnen.
Und dann sind da noch die drei Männer.
Der türkische Mann.
Der deutsche Mann.
Und der schwarze Mann.
Die haben keine Kinder dabei. Sie sitzen nebeneinander auf der Bank neben dem Spielplatz und machen nichts, außer manchmal in einer dünnen Zeitung zu blättern. Jeden Tag.
Wenn fremde Kinder sich zu ihrer Bank verirren, lächeln die drei Männer sie an.
Natürlich haben alle Mütter Angst vor ihnen. Da die drei Männer tatsächlich immer da sind, beginnen die ersten Kinder ihre Scheu vor ihnen zu verlieren. Die Angst wächst. Eine Woche lang flüstern die deutschen Mütter sich etwas von „Pädophilen“ zu und die Türkinnen raunen von „Drogenhändlern“. Nur die Albanerinnen scheinen sich vor nichts zu fürchten.
Schließlich kommen die Mütter zu mir. Ich soll die drei Männer fragen, was sie ohne Kinder auf dem Spielplatz machen.
„Warum ich?“, frage ich.
„Du bist der einzige Mann hier“, antworten die deutschen Mütter.
„Du bist doch ein Deutscher“, sagen die Türkinnen.
Das stimmt. Außerdem möchte ich auch selbst wissen, welche drei Herren täglich stundenlang das Spiel meines Sohnes betrachten. Ich gehe also zu ihrer Bank. Die Augen von einem Dutzend Müttern folgen mir. Eine hat ihr Handy gezückt – für den Notfall.
So männlich und so deutsch wie möglich frage ich die drei:
– Sagt mal, ihr habt doch keine Kinder dabei. Was macht ihr eigentlich jeden Tag hier?
– „Wir passen auf“, sagt der türkische Mann.
– Soso, sage ich.
– „Wir sind Spielplatzwächter.“
– Aha.
– „Das Jobcenter hat uns geschickt. Ist ein Eineurofünfzig-Job.“
Der deutsche Mann nickt.
Der schwarze Mann nickt ebenfalls.
Einen Moment lang bin ich noch baff. Dann besinne ich mich auf meine Funktion als offizieller Beauftragter der Spielplatznutzerinnengemeinschaft:
– „Habt ihr einen Ausweis?“
Haben sie. Drei Spielplatzwächter mit Dienstausweis. Ihre Geschichte stimmt: Das Arbeitsamt schickt drei Männer im besten Alter jeden Tag auf den Spielplatz vor meiner Wohnung.
Und auf die anderen Spielplätze auch. 300 Spielplatzwächter, sagen sie, gebe es allein in meinem Stadtbezirk. Bei Sonne sitzen sie auf der Bank, bei Regen gehen sie nach Hause. „Traumjob“, meint der türkische Mann ironisch. Der deutsche Mann grummelt, er plane sowieso, sich bald selbstständig zu machen. Der schwarze Mann sagt nichts.
Seit diesem Gespräch grüßen mich die Spielplatzwächter. Manchmal leihen sie unseren Ball und kicken ein bisschen rum. Wenn mein Sohn gegen den Ball läuft, ruft der türkische Spielplatzwächter: „Hey, hey, der neue Ballack!“
Aber meistens sitzen sie nur herum auf ihrer Bank. Sie verteilen keinen Kaffee für müde Mütter und haben keine Heftpflaster für aufgeschlagene Kinderknie dabei. Kann man für Eineurofünfzig in der Stunde auch nicht verlangen. Sie müssen nicht einmal aufpassen, denn das machen ja schon die Mütter und Erzieherinnen. Sie müssen überhaupt nichts tun, außer warten, dass der Tag vorbeigeht.
„Aber weißt du“, sagt der türkische Spielplatzwächter und macht ein entschlossenes Gesicht, „wenn irgendwann einmal irgendetwas passiert, dann sind wir da.“
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