REVISION DES MOTASSADEQ-URTEILS: IM ZWEIFEL FÜR DEN RECHTSSTAAT : Bushs Landrecht
„Die Bekämpfung des Terrorismus kann kein wilder, ungeregelter Krieg sein.“ So der Kammervorsitzende Richter des Bundesgerichtshofs, Klaus Tolksdorf. Der bedeutungsschwere Satz fiel gestern, als das Urteil des Hamburger Gerichts gegen Mounir al-Motassadeq wegen Beihilfe zu dem Massenmord des 11. September 2001 im Revisionsverfahren aufgehoben wurde. Könnte sein, dass sich der Richter nicht nur auf Deutschland bezog.
Hartnäckig haben sich die amerikanischen Regierungsstellen bis heute geweigert, der Ladung des in ihrem Gewahrsam befindlichen und geständigen mutmaßlichen Planers des Attentats vom 11. September, Ramsi Binalshibh, als Zeuge vor ein deutsches Gericht zuzustimmen. Mehr noch: Sie untersagten die Verwendung der dem deutschen „Dienst“ übermittelten Verhörprotokolle für Gerichtszwecke. Die Bundesregierung beugte sich und erließ einen Sperrvermerk. Begründung: Im Verwendungsfall würde „den Interessen der Bundesrepublik schwerer Schaden zugefügt“.
Der Vorgang wirft Licht auf das Verständnis der USA vom „internationalen Krieg gegen den Terrorismus“. Hatte nicht der Sicherheitsrat der UNO in der Resolution 1373 nach dem 11. September festgelegt, dass sich alle Staaten „größtmögliche Hilfe“ bei Strafverfahren gegen Terroristen leisten sollten? Und sollte diese Hilfe nicht „der Beschaffung des für Strafverfahren notwendigen Beweismaterials, das sich in ihrem Besitz befindet, dienen?“ Gilt selbstverständlich nur für Schurkenstaaten!
Wer bei Verfahren gegen des Terrorismus Verdächtige auf rechtsstaatlichen Prinzipien beharrt und die Einhaltung internationaler Verpflichtungen hinsichtlich der Überlassung von Beweisen in Strafverfahren einfordert, muss mit politischen Strafmaßnahmen der Bush-Administration rechnen. Besser den Kopf einziehen und „Schaden abwenden“. Nicht das Völkerrecht zählt, nicht Konventionen der UNO, wie die von 1997 gegen den Bombenterror. Sondern nur das, was die Bush-Regierung im Kampf gegen den Terror für rechtens hält. Wie sagte doch gestern Richter Tolksdorf? „Der Rechtsstaat darf nicht mit Mitteln verteidigt werden, die die Preisgabe seiner Prinzipien bedeuten.“ CHRISTIAN SEMLER