RECHTSSTAAT: Tumult im Landgericht

In dem altehrwürdigen Gerichtssaal 231 ging gestern nichts mehr: Weder das Gericht noch der Staatsanwalt kamen zu Wort, als die Brüder M. ihrer Wut freien Lauf ließen

Ein Alibi für die Schlägerei vor dem NFF-Club war im Landgericht gefragt - und erhitzte die Gemüter. Bild: taz

"Sie lügen alle! Sie machen doch sowieso was Sie wollen! Hören Sie auf und stecken Sie mich in den Knast. Ich kann das nicht mehr hören von Ihnen, das geht mir am A... vorbei." In diesem Stil redete der Angeklagte Sami M. gestern Nachmittag im Saal 231 des Bremer Landgerichtes, und als die Richterin versuchte, ihm über den Mund zu fahren ("Sie sind jetzt ruhig!"), konterte er: "Ich rede aus. Wo leben wir denn? In Afrika? Im Dschungel?" Zweimal schlug die Richterin mit der Faust auf den Tisch - es nutzte nichts. Der Angeklagte war so in Rage, dass sie am Ende einräumte: "Wenn wir beide hier brüllen, dann gewinnen Sie."

Schon am Vormittag hatte das Gericht nach einem zehnminütigen tumultartigen Auftritt dieser Art, bei dem der als Zeuge geladene Bruder Mohammed M. genauso lautstark beteiligt war, die Verhandlung für zwei Stunden unterbrochen - zur Beruhigung der Gemüter. Es ist schon ein ungewöhnlicher Prozess, der da seit Dezember vor dem Landgericht stattfindet.

Immer wieder reden Zuschauer auf Arabisch in den Gerichtssaal hinein, auch von der Zeugenbank gibt es manchmal kurze Zwiegespräche auf Arabisch mit dem Angeklagten. "Wo ist das Gesetz? Es gibt keines", brüllte Sami M. gestern. "Und da wundern Sie sich, wenn die Leute die Gesetze selbst in die Hand nehmen." Bisher hat sich das Gericht das gefallen lassen.

Der aggressive Stil des Angeklagten passt derweil zu der Anklage: Elf Punkte umfasst die Liste der Staatsanwaltschaft, darunter sind etliche aggressive und wüst drohende Beleidigungen und einige Fälle von Körperverletzung. Sami M. ist einschlägig vorbestraft und hat mehrere Jahre bereits im Knast gesessen. In dieser Woche war der Fall eines schwarzafrikanischen Informatik-Studenten verhandelt worden, der sich im März 2007 mit dem Abräumen von Gläsern in der Diskothek NFF-Club ein paar Euro fürs Studium verdiente. Gegen 5 Uhr wurde er nach seiner eigenen Aussage von drei Männern aus dem M.-Clan nach oben "gebeten" und zusammengeschlagen - drei Tage verbrachte er danach im Krankenhaus. Mit den Schlägern hatte er vorher nichts zu tun gehabt. Mohammed M. ist deswegen schon zu einer Strafe auf Bewährung verurteilt. Gestern erklärte er als Zeuge vor Gericht, sein Bruder sei gar nicht dabei gewesen, er sei allein mit dem Studenten die Treppe hochgegangen und dort allein mit ihm aneinandergeraten. Es gibt allerdings Zeugen, die sich gut erinnerten, dass es drei waren und dass der Student auf der Straße vor der Diskothek gerufen hatte: "Ihr seid zu dritt, ich bin allein, das ist unfair."

Auch bei einem anderen Anklagepunkt, dem Fall eines DHL-Fahrers aus Somalia, der nach der Arbeit eingekauft hatte und auf dem Weg nach Hause war, als er zusammengeschlagen wurde, hatte Mohammed M. seinen Bruder entlastet und behauptet, der sei bei dem Vorfall nicht beteiligt gewesen. Die Richterin ließ den Bruder und seinen Freund daraufhin auf der Anklagebank Platz nehmen und rief den Somalier in den Gerichtssaal - der identifizierte Sami M. ohne Zögern als Täter.

Der Angeklagte Sami M., der schon als 17-Jähriger die Berufsschule abbrechen musste, weil er in den Knast musste, sieht sich als Opfer: Permanent werde er von der Polizei überprüft und immer wieder verdächtige ihn die Kripo wegen aller möglichen Vorfälle.

Als der Staatsanwalt gestern ankündigte, er werde prüfen, ob gegen den Bruder Mohammed M. ein Verfahren wegen vorsätzlicher Falschaussage angestrengt werden müsse, war es zu dem Eklat gekommen. "Sie lügen alle. Der Staatsanwalt hat gelogen", rief Sami M. in den Saal.

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