RAF-Thriller "Amigo - Bei Ankunft Tod": Rote Tomaten Fraktion
Arte nimmt, wie das Kino, mit "Amigo - Bei Ankunft Tod" nun auch die Terrorgruppe RAF ins Programm. Das gelingt schön unaufgeregt, wirkt aber überfrachtet.
RAF sells? Das gilt überall, nur nicht im deutschen Fernsehfilm. Zugelassen ist zwar die Seifenoperisierung des Themas durch Dokudramen wie "Mogadischu"oder die Ausstrahlung zuvor kommerziell erfolgreicher Kinofilme wie "Der Baader Meinhof Komplex"als TV- gerechter Zweiteiler.
Doch ohne zuvor marktschreierisch annoncierte Faktentreue hat noch kein RAF-Film die Gnade der Programmmacher gefunden. Lars Beckers vom ZDF in Auftrag gegebener Thriller "Amigo - Bei Ankunft Tod" darf also als die erste reine Fiktion zur Terrorgruppe auf einem Primetime-Sendeplatz gelten, wenn auch vorerst nur mit einem Testlauf bei Arte.
Was macht ein ehemaliger RAF-Kombattant heute? Er züchtet Tomaten in Süditalien - Bio natürlich. Tobias Moretti (bekannt aus "Kommissar Rex" und "Jud Süß - Film ohne Gewissen") gibt diesen Amigo Steiger mit einem für seine Statur zu knappen Cordjacket sehr überzeugend als bäuerlichen Typen mit Hang zu vergorenem Traubensaft und leicht angesäuertem Einzelgängertum.
Weil es gilt, den Fernsehzuschauer gleich in den ersten Minuten zu packen, umstellt bald das BKA in Tateinheit mit neapolitanischer Polizei seinen Hof: Das Versteck des RAF-Manns der dritten und letzten Generation, der vor 20 Jahren einen Bankpräsidenten und dessen Fahrer erschoss, wurde verraten.
Es kommt zum Schusswechsel, der junge Polizist Jupp Sauerland (Florian David Fitz) bleibt schwer verletzt in einem Fluchttunnel liegen, und sein Vorgesetzter, der Leiter der Aktion Fredo Kovacs (Jürgen Prochnow), guckt zusammen mit dem italienischen Kollegen (Luca Ward) in die Röhre. Der aufgeschreckte Amigo dagegen bucht einen Flug nach Hamburg. Wär doch gelacht, wenn sich die Petze nicht im Milieu befreundeter RAF- und Hafenstraßenrentner, mit anderen Worten Anwälte und Verleger, finden ließe.
Populäre Themen durchgenudelt
Ein flockiger Auftakt also, in dem Lars Becker, der auch das Drehbuch schrieb, das bleierne deutsche Thema gekonnt in ein populäres Genre kleidet. Das Personal parliert nicht gestelzt, sondern herrlich alltagsnah schnodderig, wie man es auch an seiner Serie "Nachtschicht" schätzt. Und doch kündigt sich mit dem Aufmarsch bekannter Fernsehnasen zu Beginn schon an, unter welcher Last der Film leidet.
In der Folge müssen mit Ina Weisse, August Zirner, Uwe Ochsenknecht und Kostja Ullmann weitere gesichtsbekannte Darsteller durchs Bild, und es werden auch noch die Themen islamistischer Terror, alte Liebesgeschichten, uneheliche Kinder, Patchwork-Familien und Graffiti durchgenudelt.
Für jeden also was oder jemand dabei. Produziert hat die quotenträchtige Network Movies ("Tod in Istanbul"). Anzunehmen, dass die Firma so ihre Vorstellungen hat, wie möglichst viele verschiedene Zielgruppen anzusprechen sind. In Lars Becker, der einer der wenigen im deutschen Fernsehgeschäft ist, die den Mut zu einer krausen Dramaturgie haben und auch mal lose Themen- und Erzählfäden herumhängen lassen, hat das System TV-Movie diesmal seinen Meister gefunden. Es kommt unter der Last der vielen Themen zur Implosion, die verschiedenen Erzählstränge wollen sich einfach nicht ineinander fügen.
Dass "Amigo" eine völlig unaufgeregte und Radical-Chic-freie Auseinandersetzung mit der RAF und ihren Folgen, und noch dazu mit dem Verhältnis von Tätern und Opfer-Nachkommen ist, könnte dabei fast untergehen.
"Amigo - Bei Ankunft Tod", 11.3., 20.15 Uhr, Arte
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren