■ RAF-Gefangene im Wortlaut: Brigitte Mohnhaupt: „Der Inhalt der Beziehung ist zerstört“
Wir machen jetzt eine Sache offen, die für uns der Bruch ist im Zusammenhang der Gefangenen und in der politischen Beziehung zur RAF. Der Inhalt der Beziehung ist zerstört, eine andere Entscheidung als die Trennung nicht mehr möglich. Wir haben den Endpunkt der Entwicklung in die politische Agonie erreicht, die 1992 damit anfing, daß die Grundlagen unserer Politik weggekippt wurden, und heute damit aufhört, daß unser Leben und unser Kampf hinter unserem Rücken abgewickelt werden sollen. Seit Mai haben die Gefangenen in Celle die Abwicklung von RAF und Gefangenen in Gang gesetzt, mit Einverständnis der Illegalen.
Wir wissen das alles selbst erst seit kurzem und auch nur durch einen Zufall. Es war nicht vorgesehen, daß wir davon erfahren, weil für die Celler wie für die RAF klar war, daß niemand von unseren Gefangenen diesen Weg mitgehen wird. Wir sollten vor vollendeten Tatsachen stehen, friß oder stirb. Genau in dieser Bedeutung: Wer dann nicht „mitmacht“, bleibt für immer im Knast.
Die Täuschung ist nicht nur uns gegenüber gelaufen, sondern zu allen, die mit dem Kampf der RAF und der Gefangenen verbunden sind, solidarisch sind mit uns die Freiheit der Gefangenen erkämpfen wollen. Auf die eine oder andere Weise waren wir alle Einsatzmaterial im Deal.
Diesen Fahrplan schneiden wir jetzt ab. Die Situation muß für alle vollkommen klar sein, alles andere wäre verantwortungslos und politisch irre. Jede/r muß genau sehen können, was ist und wohin er oder sie jetzt will. Und für uns selbst geht es anders sowieso nicht weiter, wir könnten dann unser Leben und alle Erfahrungen in unserem Kampf gleich selbst zertreten.
Ich sage jetzt zuerst das zugrundeliegende Konzept für die Abwicklung und dann die Fakten, soweit wir sie kennen.
Ausgangspunkt ist die Überlegung, Kohl könne ein Interesse daran haben, sich vor den Wahlen als derjenige darzustellen, der die „politische Lösung“ gebracht und 23 Jahre Konfrontation beendet hat. Deswegen wird rechtzeitig, bevor die Wahlstrategien festgelegt sind, an Kohl die Bereitschaft von seiten der RAF und der Gefangenen signalisiert und ein konkretes Angebot gemacht.
Außerdem sollen Personen in wichtigen gesellschaftlichen Funktionen über diese Bereitschaft informiert und darauf angesprochen werden, ihrerseits bei Kohl für eine solche Lösung einzutreten. Das langfristige Kalkül dabei ist, daß – falls Kohl auf nichts eingeht – diese Personen wissen, daß die RAF sozusagen nur noch gezwungenermaßen zur Konfrontation zurückkehrt. Ihnen gegenüber soll eindeutig vermittelt werden, daß allein der Staat für eine Fortsetzung von Aktionen verantwortlich ist. Die RAF wollte ja, aber Kohl nicht.
Eine eigene politische Bestimmung und Konzeption der RAF gibt es damit nicht mehr, alles ist nur noch darauf ausgerichtet, „Druck“ zu machen, um die Abwicklung zu besseren Bedingungen zu kriegen. Wie es schon mit Weiterstadt war.
So oder so ist das das Ende der Politik, für die die RAF über 20 Jahre gestanden hat, revolutionäre Intervention in der Metropole. Und das war noch nie eine Frage der Mittel allein, sondern eine des Inhalts. Wo der Inhalt hingekommen ist, sehen wir daran, daß die bewaffnete Aktion heute als Ware definiert wird.
So weit das Konzept. Es gibt einen Vermittler bei der ganzen Sache, einen früheren Anwalt von uns. Er ist der Meinung, er tue damit was für uns alle, und das sei sowieso unsere letzte Chance, jemals aus dem Knast zu kommen. Irmgard und ich haben mit ihm gesprochen, von ihm wissen wir jetzt auch den ungefähren Ablauf.
Als erster soll Edzard Reuter als führender Vertreter der Wirtschaft angesprochen werden. Das ist im Mai. Aber Reuter läßt sich nicht sprechen, der Vermittler kommt nur bis zum Sicherheitschef durch. Erst nachdem er zu „Benz“ vom Verfassungsschutz geht und dessen Behörde über den Zweck informiert ist und grünes Licht gibt, bekommt er Reuter ans Telefon.
Die von Karlheinz Dellwo fixierte Linie für das Gespräch ist, Reuter anzudienen, daß eine Beendigung des Konflikts RAF– Staat auch im Interesse der Wirtschaft sei, deren zentrale Leute mit zu den Hauptbetroffenen der Auseinandersetzung gehören. Ein Schlußstrich sei möglich, der Staat wolle jedoch weiter die militärische Lösung, was nur die Verlängerung des Konflikts bedeutet. Deswegen sei es notwendig, daß Wirtschaftsführer wie Reuter den eigenen Einfluß einsetzen, um eine Lösung zu forcieren.
Reuter ist abweisend, redet schließlich mit Schnarrenberger, später mit Kohl. Kohls Antwort ist negativ.
Das ist kurz vor Bad Kleinen.
Wolfgang wird erschossen, Birgit verhaftet. Steinmetz, der dem Staat die ganze RAF ausliefern sollte, fliegt auf.
Der Vermittler geht zu Birgit, um sich zu vergewissern, ob ihre und die Zustimmung der Illegalen auch jetzt noch besteht. Birgit ist einverstanden, daß er weitermacht.
Reuter wird erneut angerufen, das Ganze sei durch Bad Kleinen nicht überholt, nur noch dringlicher. Aber Reuter will nicht mehr und lehnt ab.
Als nächstes versucht der Vermittler, die Unterstützung von Ignatz Bubis zu gewinnen, und damit eine weitere Person, deren Einfluß und Gewicht dem Celler Konzept entspricht.
Bei einem weiteren Treffen sagt Bubis zu, Gespräche in Bonn in dieser Richtung zu führen. Beweggrund ist für ihn seine Einschätzung der politischehn Entwicklung in Deutschland, daß die Gefahr von Rechts so gravierend ist, daß der Staat sich ganz darauf konzentrieren muß.
Er spricht mit Schnarrenberger, Kinkel, Kohl. Sein Vorschlag, einen Besuch in Celle zu machen, um das Ganze von den Gefangenen selbst zu hören, wird von Kohl abgelehnt, der abwarten will, was sich aus den Ermittlungen nach Bad Kleinen ergibt, wie weit sie mit der Steinmetz-Ernte kommen. Kohls Interesse heißt Fahndungserfolg, nicht Abwicklung. Und damit sähe auch die Wirtschaft ihrem Interesse Genüge getan. Ein für Ende September angesetztes Gespräch von Bubis mit Kohl und Kanther findet ebenfalls nicht statt.
Das ist der uns bekannte Stand.
Wie die Abwicklung konkret vor sich gehen soll, wissen wir nur teilweise. Als Zeichen, daß der Staat auf das Angebot eingeht, soll er die Gefangenen, die am längsten in Haft sind, freilassen, Birgit nach Frankfurt verlegen, die übrigen Gefangenen zusammenlegen. Danach käme die „Gesamtlösung“, die die Illegalen einschließt. Wir wissen nicht, was sie sich vorstellen, wahrscheinlich Legalisierung nach begrenztem Exil oder kurzem Knast oder was für die übriggebliebenen Gefangenen geplant ist.
Egal auch, sollen sie ihren Weg gehen, aber offen. Nicht indem versucht wird, andere für eine Sache zu benutzen, die wir weder überblicken können noch sollen.
Es ist jetzt keine Zeit mehr, viel zu schreiben. Aber kurz will ich noch etwas sagen.
Wir versinken nicht in Bitterkeit. Die Bitterkeit war im letzten Jahr, als sichtbar wurde, daß die „Zäsur“ für die RAF nicht die Öffnung zur Neubestimmung radikaler und revolutionärer Politik war, Suche und Kampf um die eigenen Vorstellungen, sondern der Schritt in die Anpassung und blanke Entpolitisierung. Das war nicht aufzuhalten, nicht weil sie nicht verstanden haben, wovon wir reden, sondern weil sie etwas anderes wollen. Sicher ist, daß revolutionäre Politik hier nur wieder Fuß fassen können wird in einer ganz neuen Entscheidung und im bewußten Bruch mit dieser Hinterlassenschaft.
Wir haben alle jetzt jede Menge zu sagen. Das kommt als nächstes. Sinn und Inhalt unserer Politik sind Teil unseres Lebens, eine untrennbar zusammengewachsene existentielle Einheit, und genauso kämpfen wir darum.
Brigitte Mohnhaupt für die Gefangenen aus der RAF in Lübeck, Köln, Frankfurt, Schwalmstadt, Frankenthal, Bruchsal, Aichach.
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