Quim Monzós Erzählungen: Das Leben ist Schmerz
Quim Monzós Erzählband "Tausend Trottel" beschreibt existenzielle Sackgassen. Hier entwächst aus der radikalen Genauigkeit der Beobachtung das Absurde.
Der Vater gibt ihm auch einen Kuss, fasst ihn am Nacken, damit er sein Gesicht nicht wegdrehen und er ihm noch einen Kuss geben kann. Der Vater liebt seinen Sohn sehr. Er ist das Einzige, was er auf der Welt hat."
Eine Eltern-Kind-Beziehung, in drei Sätze gefasst. Sie entstammen der ersten Erzählung aus Quim Monzós Band "Tausend Trottel", die von einem Besuch eines Mannes bei seinem Vater im Altersheim handelt. Der Vater, diese Information gibt der Text ganz nebenbei, ist Transvestit. Als der Sohn kommt, ist er dabei, sich anzuziehen, das schwarze Seidenhöschen, dann, einen absurden Dialog später, den Spitzen-BH.
Die Beiläufigkeit, mit der der Sohn ihm hilft, verrät Vertrautheit und den Respekt vor dem, was der Vater sein möchte. Das umfasst auch den Wunsch, der Vater möge seine Rolle auch in würdeloser Umgebung würdevoll darstellen: "Der Sohn denkt, wenn er noch öfter mit Strumpfhosen hinausgeht, müsse er ihm sagen, dass es besser wäre, die Haare an den Beinen zu entfernen …". Doch der Satz geht noch weiter: "… aber er hat den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da fällt ihm ein, dass er ja derjenige wäre, der den Rasierer kaufen müsste […] und beschließt, nichts zu sagen."
Dieser Artikel ist der aktuellen vom 14./15. November entnommen - ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk erhältlich.
Der nächste Satz aber lautet "Herr Beneset beobachtet den Sohn." Dieser Sohn, der seinen Vater liebt, ist nicht bereit, ganz für ihn da zu sein. Und dieser Vater, der seinen Sohn mehr als alles liebt, weiß es. Und seine besitzergreifende Geste vom Anfang wird dem Verzicht weichen. Wie, wahrscheinlich, schon so oft.
Monzó (und mit ihm seine offenbar großartige Übersetzerin Monika Lübcke) setzt jeden Satz, jedes Wort präzise. Großartig ist es, wie aus dieser radikalen Genauigkeit der Beobachtung das Absurde erwächst, wie durch das Gitter des Realen hindurch das Surreale - oder ist es das nur scheinbar Surreale, das sonst Unausgesprochene? - ins Freie drängt.
Geradezu programmatisch findet sich dieses literarische Verfahren verbildlicht in der Erzählung "Ich schaue aus dem Fenster". Auf dreizehn Druckseiten protokolliert der Erzähler darin, was er bei stundenlanger genauester Beobachtung der Geschehnisse vor seinem Fenster sieht, ferner, was er dabei denkt, gibt ein zwischendurch geführtes Telefongespräch wieder, in dem ebenfalls das Aus-dem-Fenster-Schauen thematisiert wird, und gerät immer wieder in gedankliche Abschweifungen, die schließlich in die Vorstellung münden, sich ein Ohr abzuschneiden, um im Krankenhaus zumindest vorübergehend Zuflucht vor den Zumutungen des täglichen Lebens zu finden.
Tod und Alter, Schmerz und Krankheit bilden die Grundierung für die Erzählungen im ersten Teil des Bandes, und so brutal es einem oft ans Herz greift, so sehr reizt gleich danach oder oft auch gleichzeitig das Überpointierte einer Passage zum Lachen. Die letzte Erzählung dieses ersten Teils, "Der Frühling kommt", spielt wieder in einem Altersheim, diesmal ist es ein altes Ehepaar, das sich dort gefangen fühlt und sterben möchte. Sie haben schon ausgerechnet, wie groß der Eimer sein muss, der ihr Blut auffangen soll, wenn sie sich die Adern aufschneiden, denn sie möchten die Dusche nicht verschmutzen. Der Sohn müsste ihnen helfen, und er bringt es nicht über sich, doch ihr Todeswunsch verfolgt ihn noch in seine Träume.
Alle Geschichten unterliegen demselben Prinzip, existenzielle Sackgassen so auf die Spitze zu treiben, dass sie zur ausweglosen Lebensfalle werden. Jene zum Beispiel, in die der Mann gerät, der seine Freundin nur heiratet, weil er glaubt, sie sei todkrank, und sich dann ein Leben lang an eine Gesunde gefesselt fühlt, die er nie haben wollte. Oder jene der Frau, die so lange alles, das sie an den Mann erinnert, der sie verlassen hat, buchstäblich aus ihrem Leben schneidet, bis schließlich die eigene Haut an die Reihe kommt. Manchmal fragt man sich, während der Lektüre kurz der Realität gewahr werdend, was man wohl eben, hin und her gerissen zwischen Horror und Heiterkeit, beim Lesen für ein Gesicht gemacht hat.
Die Texte im zweiten Teil des Bandes sind viel kürzer und insgesamt leichter im Ton, vielleicht sind sie ursprünglich für eine der Zeitungen entstanden, für die Monzó regelmäßig arbeitet. Und wenngleich man zuerst ein wenig enttäuscht ist über den spürbaren inhaltlichen Bruch, ist es nach den existenziellen Strapazen des ersten Teils doch eine gewisse Erleichterung, an der beängstigenden Absurdität des Daseins zum Schluss hin nur noch in kleineren Happen schlucken zu müssen. Übrigens war der Autor früher Kriegsberichterstatter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!