■ Querspalte: Der Drang zur Selbstvermehrung
Am Anfang war Tangentopoli. Tangente heißt Provision, Schmiergeld, Polis heißt Gemeinschaft, auch Staat, und so entstand aus den beiden Worten das Schlagwort Tangentopoli, die Schmiergeldrepublik. Sie war speziell von den in Mailand starken Sozialisten perfektioniert worden. Die Polis-Neologismen sind inzwischen Legion geworden und weit über Mailand hinausgewachsen: Neuester Schrei ist die Universitopolis, wo ganze Fakultäten wohlmögenden Eltern gegen Bares die Examensfraqen für ihre Sprößlinge verraten haben.
Dazwischen gab es die Guardopoli, danach Affittopoli, außerdem noch Alitapoli, Dentistopoli und noch manche -poli dazu: Guardopoli kommt von guardia di finanza, der Finanzwache, die sich von Unternehmern und Medienzaren Geld zustecken ließen und darüber die Kontrolle der Steuerbescheide vergaßen. Affittopoli kommt von affitto, Miete, und bezeichnet Zehntausende von Fällen, wo Begüterte sich über Beziehungen oder hohe Stellungen Luxuswohnungen zu Niedrigstpreisen zuschanzen ließen.
Von eher minderer Größe Alitapoli: Da kamen bei der Fluggesellschaft Alitalia, wie übrigens im Falle Dentistopoli bei den Zahnärzten, Dutzende von praktizierenden Piloten respektive Dentisten heraus, die ohne gültigen Pilotenschein respektive Arztexamen in ihren Sesseln Platz genommen hatten.
Man kann die Sache ja weiterspinnen. Wie wär's bespielsweise mit einer Untersuchung der Schmiergelder in Sankt Peter, wo reiche Sünder sich einen Ablaß erkaufen können. Bekanntlich hat Johannes Paul II. vor zehn Jahren ein Sonder- Heiliges-Jahr ausgerufen, um die nach allerlei Geldskandalen leeren Kirchenkassen wieder aufzufüllen. Die Frage ist, ob er dazu überhaupt von seinem obersten Chef ermächtigt war.
Eine solche Ermittlung wäre keine schlechte, aber auch keine so ganz neue Idee: 1517 hat ein gewisser Martin Luther, eine Art früher Antonio di Pietro, dem Papst mit seinen 95 Thesen just die erste „Papapoli“ angehängt. Werner Raith
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