■ Querspalte: Utopien auf Inseln
Umfragen sind prima. Rentner, die als Umfrager arbeiten, kommen unter Leute und sind nicht so einsam, Studenten verdienen sich ein kleines Zubrot, und auch der Leser freut sich, gerade weil die gewöhnlich „überraschenden“ Umfrageergebnisse genau das bestätigen, was man sich sowieso immer schon gedacht hatte.
Eine von der Zeitschrift Geo in Auftrag gegebene Umfrage hat zum Beispiel jüngst ergeben, daß 56 Prozent der Deutschen schon einmal davon geträumt haben, auf einer kleinen Insel Urlaub zu machen. Wie überraschend! Besonders Jugendliche (zwischen 14 und 29) phantasieren gerne über Inseln, die sie um so attraktiver finden, je weiter sie entfernt sind – am liebsten in der Karibik. Nord- und Ostsee finden kaum Erwähnung, wobei allerdings bemerkenswert ist, daß 13 Prozent der befragten DDRler die heimischen Meere prima finden, während 94 Prozent aller Westdeutschen Nord- und Ostsee doof finden. Die elenden Hungerleider aus dem Osten sind halt Stubenhocker, werden feriendorfgewandte Besserwessis wieder mäkeln. Man kann das natürlich auch anders sehen: Während die traurigen Westdeutschen im Hier kein Heil mehr sehen und deshalb ihre Sehnsüchte ins besonders weit Entfernte richten, glaubt der tatkräftige Ostler noch daran, seine Paradiese im Hier und Heute finden zu können. Daß einige der hübschen Inselchen wegen Klimaveränderungen infolge des ewigen Rumgurkens mit Autos und Flugzeugen schon bald im Meer zu versinken drohen, scheint die Mehrzahl nicht zu stören.
Alle Menschen mögen übrigens Inseln am liebsten, belegen internationale Studien der „Topophilie“. Das deutet auf ein starkes Utopiesehnsuchtspotential. Denn die „Inseln der Seligen“ sind die klassischen Orte der Utopie.
Ein Freund reist dagegen am liebsten in die Vororte von Berlin und schickt dann Postkarten an alle Freunde. Am Abend kommt der dann meist erholt und voller neuer Geschichten über seltsam interessante Menschen und Stadtlandschaften zurück. Detlef Kuhlbrodt
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