■ Querspalte: Arbeiten und essen
Wenn Richterherzen aus Lebkuchen wären – wie süß ginge es da auf der Welt zu. Jeder Pulsschlag, jedes Urteil ein Genuß. Naht das hohe Fest der Nächstenliebe, sind solche Träume nicht nur erlaubt, sie sind erwünscht. Richter, übt Nachsicht mit den Übeltätern!
Der Anfang ist bereits gemacht. Das Kavaliersdelikt schont all jene umtriebigen Ehrenleute, die sich – ganz delikat – auf die Kunst des Steuerhinterziehens verstehen. Als sportiv gilt, wer das Nullsummenspiel mit dem Finanzamt stets für sich entscheiden kann. Tennisschläger und Millionen. Und Siegen macht bekanntlich hungrig, hungrig auf mehr Millionen. Nun, wer arbeitet, warum soll der nicht gut essen dürfen? Kaum jemand wird doch hart schuftenden Stars, die es manchmal mit dem Gesetz nicht ganz so genau nehmen, ein wenig Milde verweigern wollen. Am wenigsten die Paragraphenhüter.
Doch bleiben wir bei aller weihnachtlichen Zuversicht Realisten: Nicht jedem Gesetzesbruch kann mit verzuckerter Moral begegnet werden. Irgendwo muß Schluß sein. Das Kölner Landesarbeitsgericht setzte jetzt den Punkt: Wer Reste ißt, der soll nicht arbeiten. Hatte doch eine Küchenhilfe zwei Stückchen Bratfisch für sich abgezweigt, Reste also. Der Kantinenchef feuerte seine Mitarbeiterin kurzerhand. Die klagte. Eine sofortige Kündigung, befand das ehrenwerte Gericht, sei im Falle der „Entwendung geringwertiger Gegenstände“ grundsätzlich Rechtens. Recht so. Wo sollten denn christliche Richter freitags noch speisen können, wenn jede Küchenhilfe den Fisch einstecken würde?
Dennoch ließen die Kölner Richter im Glanze der Lichterketten Großmut walten. Der fristgerechte Rausschmiß sei für den Kantinenchef „ausnahmsweise zumutbar“, da doch die Reste für ihn wirtschaftlich wertlos gewesen seien. Küchenabfälle nämlich. Warum so viel richterliche Hochherzigkeit erst in zweiter Instanz? Merke: Am besten ißt sich's ohne Arbeit. Und da wird es nicht immer Lebkuchen sein. Thomas Worm
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