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■ QuerspaltePositiv ist nicht negativ

Bahnfahren ist sehr schön. Da kann man ganz entspannt zum Beispiel zwischen Berlin und Görlitz im großräumigen Abteil für behinderte Raucher sitzen und im Journal für Deutschland, dem vielfarbigen „Magazin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung“, blättern. Ein schönes Magazin, ein gutes Magazin und vor allem positiv. Das ist toll; denn positiv ist positiv und vor allem nicht so negativ!

Die Überschriften machen Mut. „Pluspunkt Deutschland“, „Die Erfolgsstory Ost“. Vor allem erfährt man, daß Deutschland „die beliebteste Nation Europas“ ist. Vielleicht gar der ganzen Welt? „Während früher manchmal Angst dominierte“, besitzt „das Image der Deutschen im Ausland“ heute „Glanz“. „Unser Staat“ genießt „Ansehen“; „Wertschätzung“ präge „das Bild der Deutschen“, hätte eine Meinungsumfrage des Brüsseler Instituts INRA, „eine Tochter des Sample-Instituts (???) in Mölln (!!!)“ herausgefunden.

Die Deutschen seien also „die höflichsten Menschen Europas“, brauen das beste Bier und bauen die besten Autos. Wie sympathisch! Nur eines gibt dem kritischen Journal für Deutschland Anlaß zur Besorgnis: Lediglich drei Viertel aller Deutschen würden täglich duschen. O je! Schmutz, Sauerei, Kammerjäger rufen, Waschzwangsverordnungen erlassen!

Und wer nun meint, all das könnte man sich ausdenken, der hat sich aber so was von geirrt! Ein klitzekleines bißchen hat das Bonner Presseamt aber vielleicht mit solchen Bedenkenträgern gerechnet. „Für den aktuellen Bericht ,Verbraucher (!!!) der Welt, Bürger der Welt‘ wurden 1995 allein in 21 europäischen Ländern 18.000 Personen nach ihren grundlegenden Wertvorstellungen und Konsumorientierungen befragt.“

Zwischen Berlin und Görlitz steht ein kleines Dorfbahnhofshäuschen, dessen Graffitis doch auf einige wenige, kleine irgendwie Defizite in unserem schönen Musterland hindeuten. Etwa einhundertmal steht da: „Ich will Sex!“

Detlef Kuhlbrodt

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