■ Querspalte: Wir sind Maos Volk
Millionen Meiers und Müllers in China! Eine Invasion von Schulzes und Kunzes, tausendfach begleitet von Kowalewskis und Özgüns! Alle in China, um Himmels willen, was tun sie da? Sie wandern. Vom Telefonbuch in den Computer und später auf eine kleine, untertassengroße Scheibe.
Vier Monate lang haben 500 chinesische Menschen mit flinken Fingern sämtliche Telefonbücher der Bundesrepublik abgetippt, von Ochsenhausen bis Brombach und Enzklösterle. Schon sehen wir sie vor uns, 500 Menschen in Reih und Glied, rechts das Telefonbuch von Bad Herrenalb, links die Tastatur, und wie es sie schüttelt vor Lachen, wenn sie etwa zum Buchstaben S gelangen: Sauerbrei, Schweinshaupt, Stippekohl. Namen haben diese Langnasen!
Und warum das Ganze? Nur weil die Telekom-Tochter ihre Billigkonkurrenten zwingt, die Daten der Telefonkunden auf umständliche Weise zu klauen, wo's doch so einfach ginge: Mit einem Scanner ritsch, ratsch über die Telefonbuchseiten oder besser noch, gleich die teure CD- ROM der Telekom kopieren. So aber mußte man zur drittschnellsten und drittbilligsten Lösung greifen: alle Telefonbücher abtippen, in China hinter der Mauer.
Im Februar kommt dann das Produkt auf den Markt, eine von diesen praktischen CD-Roms, mit denen sich so herrlich Big Brother spielen läßt: Sie suchen alle Kunzes, Angelika, der Republik? Mit Telefonnummer und Adresse? Die CD- Rom made in China macht's möglich. Sie wollen eine Liste aller Schmidts Ihrer Straße erstellen? 500 Chinesen sei Dank – der Computer spuckt sie aus. Sie hätten gern die Telefonnummer all ihrer Nachbarn? CD-Rom einschieben, ein Klick mit der Maus. Einst gab es – eine Steinzeit ist's her – eine Massenbewegung, um derlei Datenhexerei zu verhindern. „Volkszählungsboykott“ nannte sich die und war eine ziemlich spaßige Sache. Jetzt wird das (Telefon-)Volk von Maos Erben gezählt. Versuchen Sie mal, 1,2 Milliarden Chinesen zu boykottieren! Vera Gaserow
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