■ Querspalte: Schafft keine Arbeit
Angesichts der 350.000 Teilnehmer zählenden Gewerkschaftsdemonstration im Sommer hatte FDP-Chef Gerhardt gesagt, Demonstrieren schaffe „keinen einzigen Arbeitsplatz“. Bei der Diskussion um die Abschaffung der Vermögenssteuer hat nun Theo Waigel gleichgezogen, indem er an die Adresse der SPD gerichtet verkündete: „Sozialneid schafft keinen Arbeitsplatz.“
Soweit ist da sicher nichts gegen einzuwenden. Im Prinzip haben beide ja auch völlig Recht. Vielmehr ist eine solche Argumentation noch nicht in Ansätzen ausgereizt. Auch andere Ressortchefs könnten auf den Geschmack kommen. Statt sich mit Kritik auseinanderzusetzen könnten sie diese mit dem Verweis auf den nicht unmittelbar arbeitsmarktfördernden Charakter parieren. Das ist bequemer und stimmt fast immer. So könnte Herr Kinkel den Vorwurf, er schätze Exporterfolge höher ein als Menschenrechte, parieren mit: „Menschenrechte schaffen keinen einzigen Arbeitsplatz.“ Das stimmt zwar ausnahmsweise nicht, stellt aber doch den Angreifer fürs erste ruhig. Herr Rühe könnte sich darauf berufen, daß Out-of-area-Einsätze der Bundeswehr jede Menge Arbeitsplätze schaffen, die Kritik daran jedoch keine. Die universelle Einsetzbarkeit des Arguments macht seine Stärke aus.
Die Koalition könnte sich hermetisch abschotten gegen Anwürfe derer, die erst mal nachweisen müssen, bereits Arbeitsplätze geschaffen zu haben, bevor man ihnen Gehör schenkt. Solange die Opposition keine Handhabe dazu hat, weil sie sich, wie der Name sagt, in der Opposition befindet, sind ihr die Hände gebunden.
Es sei denn – und hier liegt die Gefahr, die aus purer Sorge um die Regierung benannt werden muß – die Opposition besinnt sich auf das Wesen eines Totschlagarguments, daß es nämlich in beide Richtungen funktioniert. Beispielsweise könnte behauptet werden, die gesamte Politik der Regierung Kohl sei mit Sicherheit nicht dazu angetan, auch nur „einen einzigen Arbeitsplatz“ zu schaffen. Dann wäre wieder alles offen. Holm Friebe
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