■ Querspalte: Schäuble ist gestoppt
Am Dienstag dieser Woche trat Helmut Kohl zum symbolischen ersten Spatenstich für die neue Bundeskanzlei im Spreebogen an. „Kohl ist jetzt Berliner“, freute sich die BZ etwas früh, denn vor dem unvermeidlichen Umzug des Ludwigshafeners in das erst 1999 fertiggestellte Gebäude findet im Jahr 1998 eine Bundestagswahl statt, für die die CDU ihren Kanzlerkandidaten noch nicht nominiert hat. „So Gott will“ werde er ins neue Amt einziehen, antwortete Kohl während der anschließenden Pressekonferenz auf die devote Frage einer Journalistin. Doch weniger Gott als die verantwortlichen Architekten Charlotte Frank und Axel Schultes haben bereits jetzt vollendete Tatsachen geschaffen und mit der achten Überarbeitung ihres Entwurfs alle Weichen für Kohl gestellt. Sein einziger momentan möglicher Nachfolger aus den eigenen Reihen, der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Schäuble, wird jedenfalls nicht in die Kanzlei einrollen.
Zwar haben die Architekten im letzten Entwurf auf die geplanten äußeren Zwischenstufen, die einen „aztekisch-ägyptisierenden Stufentempel“ (Berliner Zeitung) hätten entstehen lassen, verzichtet, doch Rollstuhlfahrer Schäuble wird das in einer 36 Meter hohen Kuppel gelegene Kanzlerbüro kaum erreichen. Die kreisrunde, dreigeschossige Treppenanlage ist schon ein mächtiger Bremsklotz. Gerade mal bis zum ebenerdigen Empfangshof, der eigentlich für anfahrende Limousinen von Staatsgästen gedacht ist, wird Kohl Schäuble kommen lassen, doch bereits den eine Stufe höher geplanten zentralen Konferenzsaal wird er nicht mehr ansteuern können.
Und auch im vier Meter über Spreebogen-Niveau liegenden Kanzlergarten, den Gräben und Hügelkämme durchziehen, wird Rolli Schäuble die Reifen kaum quietschen lassen. Mit ihrem Entwurf der neuen Bundeskanzlei haben die Architekten Frank und Schultes ein entscheidendes politisches Signal für die Zukunft der Berliner Republik gegeben. Schäuble ist endgültig ausgebremst. Michael Ringel
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