■ Querspalte: Fragen über Fragen
Als Journalist führt man sozusagen ein Leben aus zweiter Hand. Ständig sucht man nach verwertbaren Geschichten, die man dann, mit einer lustigen „Pointe“ versehen, dem Leser vorwirft, damit der in der Vorstellung, „hier gibt's immer was zu lachen“, sich häufiger die Zeitung kauft und klüger dabei wird. Den meisten Geschichten mangelt allerdings die Pointe, der Schluß, nach dem man sich zufrieden schmunzelnd über so viel Eitelkeit oder Dummheit zurücklehnen kann. Oder sie tragen ihre „Pointe“ in sich, und wenn man die „Pointe“ dann noch aufschreiben würde, wär's schon nicht mehr witzig, sondern würde eher ins „Bemühte“ tendieren, und nichts zerstört bekanntlich den „Witz“ so sehr, wenn er die Spuren von Arbeit und Müh noch in sich trägt.
Trüb und trostlos die Tage also, die sich dem Verwertungszusammenhang entziehen und einem Freizeit verordnen wollen. In der Zeitung Dutzendware, die sich weder zu einem pointierten Gedanken ausbauen läßt noch sonderlich „witzig“ ist. „63jährige bekam ein Kind“ – diese Frauen! 15 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Bayern nehmen nicht genügend Flüssigkeit zu sich, hat Günter Wolfram von der TU München herausgefunden; nicht allzu „witzig“, das jetzt „überraschend“ mit den 2,5 Millionen deutschen Alkoholikern zu verknüpfen. Und daß Olaf Thon, der sympathische Schalker Klassensprecher, nach dem Einzug ins Finale des Uefa-Cup sagte, wenn er Bundestrainer wäre, würde er sich in der Nationalmannschaft mitspielen lassen, ist eher sympathisch als komisch und außerdem auch schon eine Woche her und hat deshalb in einer Tageszeitung nichts zu suchen. Wo bleibt die „Pointe“? Ist die engagierte Gründerin einer Selbsthilfegruppe für Angehörige von Exhibitionisten „lustig“, die den Wissensrückstand der Bevölkerung in Sachen Exhibitionismus beklagte und, um das zu illustrieren, sagte: „Viele wissen ja noch nicht mal, wie man Exhibionismus schreibt.“ Oder findet man das nur „witzig“, weil man Abitur hat? Fragen über Fragen. Detlef Kuhlbrodt
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