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■ QuerspalteWerbung mit Herzog

Geist und Moral sind auch in Rußland nicht im Überfluß vorhanden. Geistig-moralische Autorität ist gar noch seltener anzutreffen. Nicht zufällig schickte Präsident Jelzin den denkenden Teil seines Volkes auf die Suche nach einer zündenden russischen Idee. Die Zwischenbilanz der Sinnsuche fiel erwartungsgemäß bescheiden aus. Doch siehe da, ein Blick nach Deutschland könnte wie häufig in der tragischen, aber dennoch gemeinsamen Geschichte Abhilfe schaffen. Die Nachbarn bleiben ihrem Ruf treu, nicht nur einen ungetrübten Blick für die Praxis zu haben, sondern diese auch ohne Verlust fürs Wesentliche organisieren zu können.

Die Trennung von Moral und Politik, von Präsident und Exekutive, übt auf die russische Elite unwiderstehliche Anziehungskraft aus. Den Deutschen nimmt der Russe seit je als Oberlehrer wahr. Man liebt ihn nicht, aber achtet ihn. Schließlich brachte er den Kulturbegriff mit. Wohlgemerkt, nicht die Zivilisation, die prozeßhaft ist, Grenzen überwindet und sich nicht ewig larmoyant selbstvergewissernd fragen muß: „Wodurch unterscheide ich mich von anderen?“ Seither teilen Rußland und Deutschland diese verhängnisvolle Ichschwäche.

Nun tritt jenes Kantsche Gespinst – das Vernünftigsein, dem die Moral unkündbar beiwohnt – in der Gestalt Roman Herzogs eine Werbetour für den (Institutionen-)Export an. Die nachdenklichen Warnungen des Oberhauptes, das zu Hause seine Sache ganz gut macht, sind demnach beherzogt worden, die „Visionen“ längst Realität, die Republik recht konfliktfrei. „Vision“ gebiert Synonyme; Telekom, Transrapid, Siemens..., der Präsident übernimmt die Rolle einer Sprechblase. Der denkende Teil der Russen war entsetzt. Hat man sich doch dran gewöhnt, Werbung als solche zu kennzeichnen. Der hartnäckige Leumund der Deutschen als Kulturvolk erfuhr empfindlichen Schaden. Die Staatswelle destruierte den Mythos, ohne zu ahnen, welchen Bärendienst sie der deutschen Exportwirtschaft im kulturbefangenen Rußland erweist. Klaus-Helge Donath

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