■ Querspalte: Boygroup mit Grips
Fortan keine Witze mehr über Focus, alle gemacht, alle gelacht, alles gesacht. Die Witze macht das Blatt des erfolgreichsten Nachkriegsjournalisten nunmehr alle selbst, und das gründlich. In der aktuellen Ausgabe geht es um neue deutsche Popmusik. Nicht selten ist es so, daß ein Thema, wenn es Focus erreicht, einen solchen Durchsickerungsgrad erlangt hat, daß es quasi unten angekommen ist.
Es gibt in Hamburg einige erfreuliche Bands, deren lose Parallelen und Verknüpfungen man als „Bewegung“ interpretieren kann, aber nicht sollte; Bands, die Quatsch weder singen (nie) noch reden (fast nie), und dann klingt das auch noch gut. Das ist ja nicht so schlimm! Aber offenbar ganz ungewöhnlich hierzulande, und so stürzt sich die Meute auf die Bands und wringt Trends, Gegenbewegung und Neues Deutschland aus ihnen heraus. Bei solchem Ansatz nimmt es nicht wunder, daß die Bands für genau das gelobt werden, wogegen sie antraten. Das gibt auch Focus vor begriffen zu haben: Die Weigerung der Band Tocotronic, den Viva-Preis in der Kategorie „Jung, deutsch und auf dem Weg nach oben“ anzunehmen, wird gelobt, Viva gescholten. Da klirrt's im Glashaus. Und nach dieser Overtüre wiegt Focus selbst sich wieder gekonnt im un(ge)wissen – von endlich wieder „echter Musik“ und den, wasndas, „intelligenten Texten“ ist die Rede. Und jene Bands „stürmen die Hitparaden“, und dann können sich die Polen ja mal warm anziehen, wenn es draußen stürmt. Auch sei die verwandte Sprache „schräg“ und deshalb gut – schräger Kausalzusammenhang.
Tocotronic seien eine „Boygroup mit Grips“. Weil sie Jungs sind? Ist die CDU eine Boygroup mit Bäuchen, das Fernsehballett eine Boygroup ohne Boys und die Focus-Redaktion eine Boygroup ohne Grips? Und noch was, nicht „Possen“ hieß die letzte Platte der Sterne, sondern „Posen“, wie die Stadt, ha ha, lieber Focus. Tocotronic immerhin wissen ja, wie sie solch zweifelhafter Zuneigung zu begegnen haben: „Alles, was ich will, ist: nichts mit euch zu tun haben!“ Benjamin v. Stuckrad-Barre
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