■ Querspalte: Was Deutsche fasziniert
Ich bin ein „Faszinationsmuffel“. Diese Erkenntnis verdanke ich der Zeitschrift absatzwirtschaft, die in aller wünschenswerten Gründlichkeit den „Faszinationsatlas '98“ der Düsseldorfer IRES GmbH analysiert hat. Aber ich bin nicht allein. Immerhin 20 Prozent von 2.000 repräsentativen Bundesbürgern haben weitgehend muffelig reagiert, als die IRES sie im Rahmen von „face-to-face-Interviews“ mit 180 „Auslösern“ konfrontierte, die auf einer Skala zwischen 0 („nicht faszinierend“) und 10 („äußerst faszinierend“) einzuordnen waren. Zur „Auslöser“-Palette gehörten Personen, Organisationen, Ereignisse und – natürlich Marken, Marken, Marken.
„Faszinationsmuffel“ darf ich mich nennen, weil ich nur Picasso (Endergebnis: 4,5) und Milka (3,8) oben eingestuft hätte, den Rest dagegen am Nullpunkt. Die Repris hingegen, wie die repräsentativen Marktforschungsopfer in Insider- Kreisen liebevoll genannt werden, „erleben mehr oder weniger häufig Faszinierendes“ (absatzwirtschaft), vor allem bei „Aktionen für und mit Menschen“ (ebd.). Deshalb kam die Aktion SOS-Kinderdorf (6.0) auf Rang eins der „IRES-Hierarchie der Faszinationsstärke“.
Ziemlich gut weg kommen im „Faszinationsatlas '98“ auch die Menschen. „Der Mensch fasziniert heute deutlich mehr als vor zehn Jahren“, konstatiert absatzwirtschaft. Dies werbetechnisch zu nutzen, fällt allerdings nicht immer leicht, weil die am stärksten faszinierenden Menschen schon tot sind. So gelten Mutter Theresa (5,9), Mozart (5,2) und Goethe (4,9) in der Branche als eher schwierige Geschäftspartner. Nicht tot, aber aufgrund seiner Erwerbstätigkeit immerhin prädestiniert für eine baldige Abfahrt Richtung Theresa und Co. ist der Faszinierendste unter den Lebenden: Michael Schumacher (4,3). Illustrieren diese Ergebnisse die Todessehnsucht der Deutschen, ihren Hang zum Morbiden? Nein, denn am wenigsten bezaubert waren die Repris von der FDP (Platz 180 mit 1,4). Die Deutschen sind also keineswegs fasziniert vom Tod. René Martens
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