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■ QuerspalteAlte Schlitten unerwünscht

Über so einen gelehrigen Schüler freut man sich doch. Kaum hat Bundespräsident Roman Herzog der Ukraine seine Aufwartung gemacht, pflichtschuldigst Kränze niedergelegt, verschwitzte Hände gedrückt und es auch an warmen Worten nicht fehlen lassen, wird sein Amtskollege Leonid Kutschma aktiv. Der ansonsten eher lethargische Staatspräsident will bessere Bedingungen für ausländische Investoren schaffen und nimmt sich dafür als erstes die Fahrzeugindustrie vor. Künftig dürfen nur noch Fahrzeuge eingeführt werden, die nicht älter als fünf Jahre sind. Und umgerechnet mindestens 9.000 Mark müssen sie auch noch kosten.

Zugegeben, originell ist die Idee nun wirklich nicht. Schließlich hat vor gar nicht allzu langer Zeit Rußlands Präsident Boris Jelzin verfügt, den Fuhrpark russischer hoher Beamter ausschließlich mit Karossen aus heimischer Produktion zu bestücken. Außerdem hat Kutschma die Rechnung ohne seine Landsleute gemacht. Denn die investieren im Automobilwesen schon lange, allerdings auf ihre Art und damit kräftig an heimatlichen Fertigungsstätten vorbei. Alte Schlitten, mit Vorliebe der Marke Mercedes, wandern täglich zu Dutzenden über die Grenze. Freie Fahrt für mehr oder weniger freie ukrainische Bürger, heißt das Motto. Vorbei sind die Zeiten, wo sich der Verkehr in Kiew staute, weil eine ölverschmierte Gestalt sich mitten auf der Hauptstraße abmühte, die Fahrtüchtigkeit seines Gefährts wiederherzustellen. Der Betreffende hatte natürlich wieder die Damenstrumpfhose vergessen, um den maroden Keilriemen zu ersetzen.

Da ist das Fahrgefühl in einem Mercedes, und sei er auch noch so alt, natürlich ein ganz anderes. Und dementsprechend gering die Motivation, für einen Gebrauchtwagen mehr auszugeben als nötig. Aber bald wird in der Ukraine ja gewählt. Wer weiß, vielleicht tritt ja eine Partei der Liebhaber alter Autos an, Aufnahmebedingung: Besitz eines Autos, älter als fünf Jahre, Preis: nicht mehr als 9.000 Mark. Barbara Oertel

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