■ Querspalte: Der kleine Hitler von Leverkusen
Wie schön war doch die Zeit, als Christoph Daum in Istanbul sein Unwesen trieb. Dort fürchteten sich die Spieler von Beșiktaș mächtig vor dem Mann mit den schreckgeweiteten Pupillen, ja, sie waren so fasziniert von dem verrückten Deutschen, daß sie ihn immerzu anstarrten und darüber vergaßen, ihm zuzuhören. Daum war, so stellte sich heraus, keine Titelgarantie. Schließlich hatte man den Deutschen engagiert, weil viele Türken glaubten, Daum wäre wegen seines Schnauzers eine Art Reinkarnation des bei vielen hochangesehenen Hitler, der sie von einem Sieg zum anderen führen würde. Aber mit diesem Deutschen hatte man eine Niete gezogen. Also war man froh, als man ihn nach Leverkusen abschieben konnte, direkt in die Hölle, dorthin, wo die auffälligsten landschaftlichen Ereignisse ein Autobahnkreuz und ein weithin sichtbares Zeichen für Kopfschmerzen sind, dorthin, wo die Einwohner täglich ein Päckchen Aspirin verputzen.
Überraschenderweise schaffte Daum es in der letzten Saison mit Leverkusen sogar in die Champions League. Dort machte er durch eine eigenartige Taktik auf sich aufmerksam. Von seinen Spielern verlangte er, „Gras zu fressen“, um dem Verein den Rasenmäher zu ersparen. Da verwunderte es nicht, daß der Ausflug in die Champions League schnell vorbei war. Im entscheidenden Spiel gegen München blamierten sich die Leverkusener und brachten Daum derart in Rage, daß er zum Verfechter der Euthanasie wurde. Von Reinhold Beckmann ermuntert, redete sich Daum um seinen Holzkopf: „Einige Spieler müssen sich die Frage der Daseinsberechtigung gefallen lasen.“ Der Daseinsberechtigung? Will er die Spieler zu Fischmehl oder zu Aspirin verarbeiten lassen? Als Trainer, der immer zuerst ins Gras beißen muß, wollte er einmal einen richtigen Hitler machen. Heraus kam nur eine Parodie, der kleine Hitler von Leverkusen, der für Beckmann den Kasper macht und nicht gemerkt hat, daß Hitler ein Auslaufmodell ist und daß es in Leverkusen schon genug Autobahnen gibt. Klaus Bittermann
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