■ Querspalte: Unbefleckte Strahlenempfängnis
Das Nichts! Grenzfeld der Existenz, ewige philosophische Herausforderung. Mathematiker nähern sich dem Phänomen durch Kurven, die im Unendlichen die Nullinie sanft berühren. Aber wo ist das Unendliche? Wo ist das Nichts? Fragen von beachtlichem Quälpotential, die in diesen Tagen die Atomindustrie plagen. Ihr metaphysisches Problem ist die unbestreitbare Existenz von radioaktiven „Verunreinigungen“ auf den Castor-Behältern. Die Partikelchen haben den Grenzwert von vier Becquerel bis zu 3.000fach überschritten. Das ist deutlich mehr als nichts. Nichts wäre null. Fast nichts wäre null bis vier. Es war aber viel, viel mehr. Große Frage: Kann aus dem Nichts etwas entstehen, was meßbar mehr ist als nichts? Vielleicht per unbefleckter radioaktiver Empfängnis, oder wie sonst passiert solch Wunderliches?
Lesen wir dazu einmal nicht Psalm 24, sondern die Erklärung der ehrenwerten Gesellschaft der AKW-Betreiber. Sie versichern bei allen heiligen Brennstäben, daß bei der Abfertigung „Waggons und Behälter stets sauber waren, was durch intensive Kontrollen belegt ist. Meßprotokolle bestätigen dies.“ Da war also nichts! Am Ankunftsort in Frankreich „wurden aber radioaktive Verunreinigungen festgestellt. Zu erklären ist dies nur dadurch, daß sich erst während des Transports winzige radioaktive Partikel aus Außenbereichen der Transportbehälter lösten.“
Wie, liebe Freude vom Atom, kann sich aber etwas lösen, was gar nicht vorhanden war? Denn beim Verladen existierte ja nichts. Und was bitte sind „Außenbereiche“? Sind das womöglich außerirdische Bereiche? Hat da ein Nichterdling heimlich während des Fahrt ...? Oder waren's die Demonstranten, die Bundesbahn, der Wind? Oder war vielleicht doch, liebe Atomiker, irgendwo in den feinsten Ritzen und hinter den hintersten Schräubchen ein klitzekleinwenig mehr als nichts vorhanden? Mal ganz ehrlich!
Und nicht vergessen: Das eigentlich Unbegreifbare dieser Welt ist, daß sie begreifbar ist (Einstein). Manfred Kriener
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