■ Querspalte: Intelligenzbolzer
An ihren Worten sollt ihr sie erkennen. Das steht nicht in der Bibel, ist aber gelegentlich trotzdem wahr, zumal wenn Taten sprachlos machen. Nach dem versuchten Totschlag irrsinniger deutscher Hooligans in Lens herrschte blankes Entsetzen auch im „Lager“ der deutschen Nationalmannschaft. Was allerdings den Bundestrainer nicht davon abhielt, zwei Tage später, im selben Atemzug quasi, laut FAZ erstens von seinen Spielern zu verlangen, „mal wirklich zu explodieren“, zweitens über die gegen Jugoslawien schwachen Außen zu sagen, daß „diese Waffe“ noch nicht so gegriffen habe wie erwartet. Der Intelligenzbolzer des DFB-Teams, Thomas Helmer, ließ sich mit der Ankündigung zitieren: „Weiter reinhauen“ und „auf die Stunde X warten“. Soweit ich weiß, hat sich auch niemand daran gestört, daß zahlreiche Zuschauer im Stadion unbekümmert das „Steht auf, wenn ihr Deutsche seid“ sangen. (Sinnigerweise nach einer Melodie, die eigentlich zu einer Schwulenhymne gehört.) Und im Spielbericht irgendeiner Zeitung stand der Satz, daß mit der Einwechslung von Tarnat „Deutschland erwacht“ sei. Tja, die semantischen Ähnlichkeiten sind selbstverständlich Zufall und nicht so gemeint.
Nach all dem wird man außerdem den Verdacht nicht los, daß die Verbrechen in Lens auch deswegen so tiefe Betroffenheit auslösen, weil sie im benachbarten Ausland geschehen sind. Innerhalb der Grenzen Deutschlands zum Beispiel einem möglicherweise unberechtigen Asylbewerber den Schädel einzuhauen, wird zwar keineswegs gutgeheißen, aber gehört irgendwie dazu, ist eine eher statistische Größe, die im Vermischten protokolliert wird. Ein Spendenkonto für das Opfer wird jedenfalls selten eingerichtet. Währenddessen gibt es für die deutsche Bundeswehr nichts Normaleres, als öffentliche Gelöbnisse abzuhalten. Und wehe, man hat etwas dagegen. Dann befindet man sich schon kaum mehr im demokratischen Spektrum. So durcheinander ist heute alles. Dietrich zur Nedden
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen