piwik no script img

■ QuerspalteRepräsentativer Wahnsinn

Zum Glück habe ich eine Monatskarte. Die ist zwar teuer, aber sie rettet mich als Bus- und Bahnfahrer in Berlin vor ewigen Grübeleien. Denn so manche U-Bahn hat der nachdenkliche Zeitgenosse schon verpaßt, indem er angestrengt auf sein Ticket starrte und zu ergründen suchte, was um Himmels willen das „G“ im Titel „BVG“ zu suchen hat, wenn das Unternehmen sich gänzlich G-frei „Berliner Verkehrsbetriebe“ nennt. Jeden noch so verspäteten Bus verpaßt allerdings, wer sich über die Einzelfahrscheine Gedanken macht. Denn diese sind erst etwas wert, wenn sie offiziell entwertet sind. Man erkauft sich den Wert der Beförderung also nur dadurch, daß man ebendiesen Wert im metallisch zuschnappenden Stempelautomat vernichtet – und damit zugibt, daß man den Wert einer Sache erst dann erkennt, wenn man sie nicht mehr hat. Sensible Menschen stürzt das in schwere Krisen. Daher lieber eine Monatskarte. Dem Touristen geht es nicht besser. Wo er hinfährt, sucht er ursprüngliche Länder und Leute. Was er findet, sind Gegenden, die sich auf eben ihn, den Touristen einstellen. „Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet“, heißt es schlau.

Der kühnste Akt von Gerhirnakrobatik aber droht uns von der Heinrich-Böll-Stiftung. Sie hat die „Organisation für nichtrepräsentierte Nationen und Völker“ der UNO, die UNPO, mit dem Petra-Kelly-Preis ausgezeichnet. Hmmm. Da gibt es also eine ganze UNO-Behörde, die nichts weiter tut, als mit den höchsten Weihen der Weltgemeinschaft diejenigen Völker und Nationen zu repräsentieren, die nicht repräsentiert werden? Sind die Batwa, die Komi, die Chittagong, diese nichtrepräsentierten Völker, mit der einmaligen Repräsentation jetzt von einer weiteren Vertretung durch die UNO ausgeschlossen? Oder gelten sie als teilweise repräsentiert? Die UNPO, hieß es von der Böll-Stiftung, verkörpere „ideal“ die Ziele des Preises. Das aber können weder Heinrich Böll noch Petra Kelly gewollt haben: uns in ein logisches Dilemma zu stürzen, aus dem es nur einen Ausweg gibt: den Wahnsinn. Bernhard Pötter

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen