■ Querspalte: Bützen, brüllen, brechen
Gerade dieser Tage tut wenig mehr not als eine Karnevals- Kritik. Seine verheerenden Auswirkungen auf Geist, Gemüt und Geblüt dürfen nicht mehr länger hingenommen werden. Täglich berichtet der Kölner Express von Verwüstungen: „So geht der Karneval kaputt“, warnte das Blatt bereits am Freitag. Zirka 15.000 Jugendliche versammelten sich rund um den Dom, „und viele hatten nur ein Ziel: Kampftrinken bis zum Umfallen“. Stadtjugendpflegerin Marlu Quillung sieht ihr Lebenswerk zerstört: „So schlimm habe ich mir das nicht vorgestellt. Ich war richtig geschockt!"
Die Zerrüttung des Nachwuchses hat einen nie dagewesenen Höhepunkt erklommen. Der Verlust der Scham führe in den Kretinismus, wußte Freud; zu Köln nennt sich das Syndrom „Bützen“, eine Art Knutsch- und Abschlabberdelirium. „Darf ein Prinz so bützen?“ sorgte sich der selbst ziemlich jebützte Express, während ein eigens bestallter Bremer Korrespondent völlig enthemmt „im Bütz-Fieber“ sage und klage „30 Bützchen“ hin- oder abbekam.
Hinterher brechen die Bützer solidarisch den Gehsteig voll — oder stürzen kopfüber in den ergrauten Vatter Rhein. „Vier Stunden nach Beginn des Straßenkarnevals hat Köln schon den ersten Toten“, meldete der Express. „Der eine riß die Arme hoch, schaute Richtung Schäl Sick und schrie Kölle Alaaf“, um stracks in den ewigen Fluten zu verschwinden. Ein gerechter, allzu gerechter Heimgang, der auch einer Gruppe von 14- bis 16jährigen jecken Deppenjungs blühen wird, die – „Parole: Saufen bis zum Umfallen“ – gestanden: „Es wird getrunken, bis wir nicht mehr gerade stehen können.“ Ihre Eltern, die bier- und schnapsversumpften Nattern, hätten gar nichts einzuwenden: „Die sind doch selbst besoffen, kriegen nichts mit.“
Wer Köln im Karneval erlebt, weiß, wozu das Menschengeschlecht fähig ist. 1991 fiel der organisierte Wahnsinn wegen des Golfkriegs aus. Saddam Hussein hat noch einen Tag Zeit, das Nötige anzuzetteln. Jürgen Roth
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