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Querspalte

Letztes aus dem Schnupfengebiet (4)

Morgens ist es am schönsten: Angeregt regnet es vor den Fenstern. Auch im „BB“-Radio gibt man sich lustig aufgekratzt. „Jürgen lass es krachen/ geh uns an die Sachen“, singt ein fröhlicher Chor junger Mädchen. Vermutlich haben Jürgen und seine jungen Dinger Kokain genommen. Danach scherzen sie über Whitney Houston, die in Hawaii mit ein bisschen Marihuana erwischt wurde. Es ist eben niemand sauber, man entschließt sich, wieder gesund zu sein, und schaut zwischen Duschen und Gesundsein noch ein bisschen in die Ferne. In der Ferne (RTL) taucht Horst, 48, „man nennt mich Pimperhotte“, auf. Er ähnelt seinem Namen und erzählt, dass er gerne in den Puff geht. Das macht Kurt, 52, verheiratet, auch alle paar Wochen. Halil, 28, “Puff, nein danke – ich krieg immer was zu nageln“, steht dagegen eher auf One-Night-Stands und findet das unmöglich. Schon allein wegen dem schönen Geld. Dara, 28, „sie befriedigt jeden“, ist mit ihrem Mann gekommen. Alle lachen, wenn „kommen“ in einem Satz vorkommt.

Wie immer in Talkshows, in denen alltägliche Dinge verhandelt werden, geht irgendwann jemand aus dem Publikum ans Mikro und sagt: „Hättest du ihr das nicht auch zu Hause unter vier Augen sagen können?“ Danach kommt Jörg Pilawa, „der schönste Busen Deutschlands“, die dritte Talkshow in einer Woche, in der es um große und kleine Busen geht. Der Einzige, der noch für „dicke Dinger“ ist, scheint Harald Schmidt zu sein. Mit der Zeit wachsen einem die vormittäglichen Talkgäste mit ihren menschlichen Lebensfragen ans Herz. Es wäre toll, wenn sie auch über Parteispenden, Kohl und so reden dürften. Doch über derlei „dicke Dinger“ darf nur die Oberklasse reden, die „Titten“ nie in den Mund nehmen würde. Interessant ist außerdem, dass die Utopien der (ehemaligen?) RAF in den billigen Talkshows Wirklichkeit geworden sind. Der große Einsatz der Rechtschreibguerilleros hat sich gelohnt. Die Angaben zu den Talkgästen sind jedenfalls durchgehend klein geschrieben. Apropos: „Philosophie gehört zu den ‚Wortbildungsschatzwörtern‘ und bleibt, wie sie ist“ (Merkschild in dem Geschäft: „büro total“).

Detlef Kuhlbrodt

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