■ Querspalte: Gesellige Abende bei Wein und Pfälzer Wurst: Der Triumph der Provinz
Wir sind Kummer mit der SPD gewohnt. Ihr rituelles Umfallen in zentralen Fragen; ihr Opportunismus, der zudem noch so dilettantisch daherkommt; ihre Unfähigkeit und ihr Unwillen, sich als Opposition und klare Alternative zu profilieren. Als Krönung und Personifizierung dieser monotonen Misere des Mittelweges und Mittelmaßes präsentiert sie uns jetzt Rudolf aus der Pfalz als neuen Hoffnungsträger.
Wir wollen uns gar nicht bei den Spekulationen aufhalten, daß der Ministerpräsident von Rheinland- Pfalz der geeignete Kandidat für eine Große Koalition sei, sondern uns dem nur mittelbaren politischen Kontext widmen, der eher kulturellen Symbolik der basokratischen Entscheidung. Ich muß in diesem Zusammenhang bekennen, daß ich seit über dreißig Jahren ausschließlich in Millionenstädten gelebt habe. Vor diesem Hintergrund gebe ich folgendes – wenn auch folgenlos und zu spät – zu bedenken: Sämtliche Bundeskanzler dieser Republik, die sich wenigstens internationales Ansehen erwerben konnten, haben das politische Handwerk in Großstädten erlernt; Konrad Adenauer in Köln, Willy Brandt in Berlin, Helmut Schmidt in Hamburg. Schon der Koloß aus Oggersheim ist eine derartige Zumutung für jeden auch nur kosmopolitisch angehauchten Menschen, daß die Forderung: „Ein Pfälzer als Kanzler in der Geschichte der Bundesrepublik ist schon zu viel“, noch eine moderate Antwort auf die Überrepräsentation von Pfälzern in politischen Spitzenämtern ist.
Als aufgeklärte Humanisten wollen wir dennoch der Versuchung widerstehen, hochmütige Vorurteile zu pflegen und die immerhin 3,6 Millionen Pfälzerinnen und Pfälzer pauschal als Hinterwäldler, Biedermänner, eben als hoffnungslose Provinzler abzuschreiben. Wir nehmen deshalb die düstere Ahnung, daß diese Charakterisierung doch zutreffen könnte, als Hypothese und überprüfen sie kritisch an der Person Rudolf S. In solchen Fällen greifen Journalisten als erstes zu dem besten deutschen Personenarchiv, dem sogenannten „Munzinger“. Daraus läßt sich lernen, daß der kommende SPD-Vorsitzende, wie die meisten Politiker, die nichts anderes als Parteipolitik lernten, einen Magister in Politologie erworben hat. Das Thema seiner Arbeit: „Probleme eines regionalen Wahlkampfes am Beispiel des Bundestagswahlkampfes der SPD in Bad Kreuznach“. Weiterhin erfahren wir, der designato gälte als bodenständig, sei von eher zurückhaltendem Wesen und lebe in 5420 Lahnstein – wo immer das auch sein mag.
In dem letzten Absatz des Porträts, das immer den Hobbys vorbehalten bleibt, heißt es: „Sch. liebt gesellige Abende bei Wein und Pfälzer Wurst.“ Da rufen wir doch ein freudiges: „Prost Mahlzeit, Genossinnen und Genossen!“ Michael Sontheimer
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