: Querdenker verzweifelt gesucht
NABELSCHAU Die GAL sei uninspiriert und konfliktscheu geworden, fanden Basisaktivisten am Wochenende. Die Parteigänger müssten weniger opportunistisch, streitfreudiger und vor allem politischer werden
KRISTA SAGER, BUNDESTAGSABGEORDNETE
Die ersten Wunden sind geleckt, die Schuldzuweisungsdebatten geführt, der Platz auf der harten Oppositionsbank gefunden – die Selbstbespiegelung der Grünen aber läuft noch immer auf Hochtouren. Am Samstag trafen sich rund hundert grüne Basisaktivisten und Funktionäre zur Nabelschau in der Altonaer Louise-Schröder Schule. Bei der „Un-Conference“ der GAL ging es um Themen wie interne Kommunikation, Bürgerdialog und die Einbindung neuer Mitglieder in die Partei. Gesucht wurden die Fehler der Vergangenheit und die Lösungen für die Zukunft.
Während thematische Arbeitsgruppen eher auf schwaches Interesse stießen – etwa das Thema Energiewende mit nur zwei Teilnehmern – drängelten sich die TeilnehmerInnen beim Workshop „Macht und Herrschaft bei der GAL“.
Mehrere Krankheitsbilder wurden attestiert: So werde in der GAL zu wenig gestritten. „Es gibt Kontroversen in der Partei, über die nicht gesprochen wird. Als wir noch Flügel hatten, kamen die Konflikte auf den Tisch und wurden in aller Härte ausgetragen“, vermisst die Bundestagsabgeordnete Krista Sager Streitkultur, auch wenn sie sich die alten Flügelkämpfe nicht zurückwünscht.
Die Folge sei nicht nur eine trügerische Harmonie, sondern auch Probleme bei der Rekrutierung des Führungspersonals: „Ohne Streit weiß ich nicht, wer inhaltlich versiert ist, strategisch denken und das auch noch vermitteln kann“, klagt Sager.
Doch der GAL fehlen offenbar nicht nur qualifizierte Querdenker, sondern auch, so GAL-Mitbegründer Kurt Edler „ein Ort, an dem Kontroversen ausgetragen werden können und Politik diskutiert wird“. Kommunales Klein-Klein in den Stadtteilgruppen, unpolitische Fachlichkeit in den Landesarbeitsgemeinschaften (LAGs), Abstimmungsdruck auf den Mitgliederversammlungen (MVs), verstreute Diskurshäppchen in diversen Internet-Foren und Netzwerken – so werde „die politische Identität der Partei nicht erkennbar“, so Edler. Da die LAGs längst unpolitische Fachgremien seien, sollte die GAL gar „über deren Auflösung nachdenken“ provozierte Edler.
Um das eigene Profil wieder sichtbarer zu machen, fordert Landesvorstand Anjes Tjarks „eine Repolitisierung der Partei“, was inhaltlich „das Setzen politischer Prioritäten“ bedeute.
Anders als früher, wo die GAL-Flügel verbissen aufeinander losgingen, seien heute viele Mitglieder, die eine Parteikarriere anstrebten „opportunistisch und streitscheu“, getrieben von der „Angst, sich unbeliebt zu machen“, schimpft Edler. Die müssten nun, um etwa ein Bürgerschaftsmandat zu ergattern, zudem „nur noch fünfzehn Kreisdelegierte hinter sich bringen, statt eine von Hunderten Galiern besuchte landesweite MV von sich zu überzeugen“, beklagt Fraktionsvorstand Jens Kerstan.
Das neue, von den Grünen mit gepushte Wahlrecht führe so zu einer Verschiebung „der Macht von der Landesebene in die Kreise“. Wenn Personen, „die in ihrem Wahlkreis smoothy sind“ und so eine Handvoll Mitglieder überzeugen und so nach oben kämen, „müssen wir überdenken, wie wir es mit dem Wahlrecht halten“, forderte Sager.
Mehr Mut zur eigenen Meinung, mehr „niederschwellige Diskussionsangebote“ und die zentrale Sammlung aller wichtigen Infos in einem zentralen Internet-Tool: So lauteten am Samstag erste Vorschläge gegen Kommunikationswirrwar und Streitmüdigkeit. So soll das politische Profil wieder geschärft werden, damit das Schlusswort des GAL-Strategen Wilfried Mayer auch in der Praxis wieder gilt: „Wir bleiben eine Programmpartei und keine Partei, die die Schwingungen in der Bevölkerung nur möglichst geschickt nachvollzieht.“ MARCO CARINI