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Querdenker Joachim Sikora im Interview"Zurück zum menschlichen Maß"

Joachim Sikora ist einer der wichtigsten Vordenker der regionalen Wirtschaft. Er fordert einen Rückbau der Globalisierung, auch durch Zeit- und Regiowährungen.

Der Welthandel muss mehr kontrolliert werden. Bild: dpa
Interview von Stephan Kosch

taz: Herr Sikora, wir sprechen jetzt günstig über eine Flatrate per Telefon miteinander, vorher haben wir uns per e-Mail verabredet. Wenn sich Ihre Ideen schon durchgesetzt hätten, wäre das alles nicht möglich gewesen, oder?

Joachim Sikora: Wie kommen Sie denn darauf?

Weil Sie auf die regionale Wirtschaft setzen, mitten in einer globalisierten Welt. Sie wollen Schutzräume statt weltweiten Wettbewerb. Dabei hat gerade der dafür gesorgt, dass günstiges Telefonieren und Internetrecherchen quer durch die ganze Welt möglich sind. Davon haben wir doch alle was, oder?

Ja natürlich, das können Sie ja auch weiterhin nutzen, wenn Sie die regionale Wirtschaft stärken wollen. Die Globalisierung hat auch einige positive Seiten, eine weltumspannende Infrastruktur gehört gewiss dazu. Und wer unbedingt Äpfel aus Neuseeland im Sommer und Erdbeeren aus Chile im Winter in seinem Supermarkt haben will, kann das auch als Bereicherung seines Lebens sehen. Aber das alles ist sekundär. Insgesamt geht es bei der Globalisierung um etwas ganz anderes.

Bild: taz
Im Interview: 

Das Interview mit Joachim Sikora und viele andere Texte mehr lesen Sie in der sonntaz vom 20./21. November 2010. Diese sonntaz-Ausgabe enthält einen Schwerpunkt zum regionalen Wirtschaften mit Erfolgsmodellen von Energie bis Ernährung. Die sonntaz kommt jetzt auch zu Ihnen nach Hause: per Wochenendabo.

Aufbruch der Regionen

Die Idee: Regionales Wirtschaften ist das zukunftsträchtige Gegenkonzept zur Globalisierung. Statt Butter aus Irland lieber die vom Bauern nebenan, statt Strom vom Großkonzern dezentrale lokale Energieversorgung, statt weiter Transporte kurze Wege. Ziel des Ganzen: Regionen in all ihren Besonderheiten stärken, Arbeitsplätze schaffen und erhalten, soziale Bindungen stärken, der Wirtschaft wieder Grenzen setzen. Sie soll dem Menschen dienen - und nicht umgekehrt.

Die Vernetzung: Die einzelnen Ideen sind nicht neu. Die ersten Regiowährungen gab es schon in den 1930er Jahren, der Gedanke der lokalen Wirtschaftsförderung führte irgendwann zur Gründung von Raiffeisenbanken und Sparkassen. Neu ist aber, dass diese Ideen nun in unterschiedlichen Initiativen miteinander vernetzt und als Gesamtkonzept weiterentwickelt werden.

Die Adressen: Hier gibt es weitere Informationen und Kontakte zum Thema:

www.regionaler-aufbruch.de

www.tag-der-regionen.de

www.regionalentwicklung.de

www.fona.de

www.regiogeld.de

***********

Joachim Sikora, 70, ist Volkswirt, Soziologe und Pädagoge und war von 1990 bis 2005 Direktor des Katholisch-Sozialen Instituts, einer Bildungseinrichtung des Erzbistums Köln in Bad Honnef. Dort rief er unter anderem die sogenannten Querdenker-Akademien ins Leben. Er ist einer der Initiatoren der Initiative "Regionaler Aufbruch".

Nämlich?

Ihr Ziel ist vor allem die massive Ausbeutung der Welt und damit verbunden die Steigerung des Profits von großen Unternehmen und Spekulanten. Die Märkte, die Produktionsabläufe und damit auch der Wettbewerbsdruck werden auf die ganze Welt ausgeweitet. Und damit nützt die Globalisierung nur wenigen. Wir erleben doch, dass die Gesellschaften sich immer weiter in reich und arm spalten, hierzulande und weltweit.

Und das liegt an der Globalisierung?

Zumindest an der damit verbundenen organisierten Verantwortungslosigkeit. Wir schaffen es doch nicht, global den notwendigen wirtschaftlichen und politischen Rahmen zu schaffen. Früher hatten wir Landesgrenzen, die Rechts-, Wirtschafts- und Sozialräume schufen. Heute haben wie einen globalen Wirtschaftsraum, in dem Intransparenz und Verantwortungslosigkeit herrschen - wie wir in der Finanzkrise leidvoll erfahren mussten. Ich sehe keinen wirksamen Sanktionsmechanismus, der aber dringend nötig wäre.

Sie selbst wohnen in Troisdorf. Könnten die 75.000 Einwohner von Landwirten aus der Region versorgt werden?

Es geht doch erst einmal darum, ob diese Landwirte überhaupt ein zusätzliches Angebot an die Bürger der Stadt machen oder ihre Produkte nur über die Agroindustrie weltweit vermarkten. Es gibt zum Beispiel einen Vermarktungsring "Unser Land", der sich in und um München herum gebildet hat und durch den die Landwirte und Lebensmittelproduzenten jede Woche auf dem Markt in der Stadt vertreten sind. Die darin organisierten Landwirte versorgen die Stadt und das Umland mit ihren wunderbaren Produkten.

Und woher bekommt die Schneiderin in der Kleinstadt die Baumwolle für eine neue Jeans?

Natürlich aus den Ländern, in denen sie wächst. Niemand will den Welthandel verbieten. Aber auch der braucht - wie alle gesellschaftliche Systeme - Grenzen, wir sprechen von Membranen. Ich habe nichts dagegen, dass wir Autos ins Ausland verkaufen oder Baumwolle aus Burkina Faso importieren, wenn dies zu fairen Preisen geschehen würde und auch die Bauern in Burkina Faso davon profitieren würden. Die Frage ist aber: Wird damit die regionale Ökonomie auf beiden Seiten gefördert? Und wie nützlich ist das für die Menschen, die in dem System arbeiten und leben?

Bietet denn eine auf die Region ausgerichtete Wirtschaft genug Arbeitsplätze für alle?

Das Problem ist: Bei uns zählt nur die außerhäusliche Erwerbsarbeit, daneben gibt es aber eine Vielzahl für das Gemeinwohl wichtige Tätigkeiten, die wir als gleichwertig anerkennen müssen. Das kann man nicht unter Familienpflichten, Hobby oder Ehrenamt subsumieren und der Arbeit unterordnen. Das ist doch unsinnig. In jeder Stadt und in jedem Dorf wird erzogen, gepflegt, betreut. Es werden kulturelle Leistungen vollbracht. Alle solche Tätigkeiten, die dem Gemeinwohl dienen, müssten genauso als Arbeit anerkannt und honoriert werden. Dann würde auch klar, wie groß die wirtschaftlichen Leistungen sind, die innerhalb eines regionalen Wirtschaftskreislaufes erbracht werden. Wir müssten uns von einer Erwerbsarbeitsgesellschaft zu einer Tätigkeitsgesellschaft weiterentwickeln.

Aber all die ehrenamtliche Arbeit kann doch gar nicht bezahlt werden …

Vielleicht nicht, wenn man immer nur in Euros und Cent denkt. Aber wir könnten andere Zahlungsmittel nutzen. Zum Beispiel: Zeit- oder Regiogeld. Damit kann eine Region sich selbst das Geld kreieren, mit dem die dort geleistete Arbeit finanziert wird. Und weil dieses Geld auch nur dort gilt, kann es nicht zu weltweiten Spekulationen verwendet werden. Außerdem kennt das Regiogeld in der Regel keine Zinsen, ist deshalb uninteressant für international tätige Spekulanten. Das schützt und fördert im Gegenzug die regionale Wirtschaft.

Klingt theoretisch gut. Aber wer hat denn tatsächlich Regiogeld im Portemonnaie?

Es gibt bundesweit über 60 Initiativen mit zum Teil beeindruckenden Zahlen. Beim Chiemgauer zum Beispiel liegt das Umlaufvermögen bei rund 3 Millionen Euro. Aber in der Tat gibt es in Deutschland Vorbehalte gegen solche Initiativen. Auch die Bundesbank sieht Regiogeld kritisch und nimmt für sich das Monopol der Geldausgabe in Anspruch - wobei die eigentliche Geldschöpfung bei den Banken liegt. In Japan zum Beispiel ist das anders. Dort gibt es Hunderte von Regiogeld-Initiativen, die auch vom Staat gefördert werden. Wenn hierzulande Sparkassen und Raiffeisenbanken bei der Einführung von Regiogeld mitmachen würden, wäre das ein wichtiger Impuls.

Was macht ein Mittelständler, der irgendwelche Spezialmaschinen weltweit verkauft und damit Gewerbesteuern und Arbeitsplätze erbringt? Muss der künftig in Regiogeld abrechnen?

Natürlich nicht, der Euro soll ja nicht abgeschafft werden. Es geht beim Regiogeld um ein komplementäres Geldkonzept. Wir wollen ein Gegengewicht schaffen zum ewigen Mantra der Globalisierung und dem Wettbewerb mit allen anderen auf der Welt. Wir brauchen Schutzmauern vor diesen entgrenzten Ansprüchen. Wir müssen zurück zum menschlichen Maß.

Das alles lässt sich leicht fordern, wenn man sich nicht am internationalen Markt behaupten muss. Sie selbst haben lange in einer kirchlichen Akademie gearbeitet, also in einem geschützten ökonomischen Raum. Können Sie auch Unternehmer für das Konzept der regionalen Wirtschaft gewinnen?

Ohne die würde es ja gar nicht gehen. Sie brauchen die am Ort ansässigen Firmen, damit so etwas Sinn macht. Und viele von ihnen profitieren von einem solchen ergänzenden Ansatz. Die meisten Unternehmen in Deutschland agieren doch gar nicht auf dem weltweiten Markt, sondern sind Handwerker oder kleine Unternehmen, die vor allem in der Region arbeiten.

Hat Ihnen die Finanzkrise geholfen? Ist das Interesse an einem "regionalen Aufbruch" gewachsen?

Die Zahl der Menschen, die für solche alternativen Ansätze aufgeschlossen sind, ist gestiegen. Das ist keine Frage. Aber wir erreichen noch nicht die breite öffentliche Diskussion oder gar die politische Programmatik einer Partei.

Sie könnten selbst eine Partei gründen.

Das ist zurzeit nicht unser Ziel. Wir wollen eine Plattform sein und Ideenlieferant. Wir denken aber auch darüber nach, ein entsprechendes Institut zu gründen.

Was wollen Sie noch tun, damit mehr Menschen von Ihren Ideen erfahren?

Wir haben zum Beispiel gerade ein Onlinecomputerspiel unter dem Titel "Visions of Politics" entwickelt und unter www.visionsofpolitics.de online gestellt. Ziel ist es, mithilfe des Computerspiels eine alternative Politikarchitektur zu entwickeln. Und dabei sollen - mithilfe dieses "Spieles" - viele einzelne Ideen zusammengeführt werden, die allein eben nicht bis in den Mainstream durchdringen. Dabei könnten sie wichtige Bausteine sein. Denn nach 60 Jahren Bundesrepublik brauchen wir dringend eine Grundsanierung unserer politischen, wirtschaftlichen und sozialen Systeme. Ständige Reparaturen oder sogenannte Reformen bringen uns nicht wirklich weiter - ein gesellschaftlicher "Architekturwettbewerb" ist dringend gefordert.

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3 Kommentare

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  • HT
    hijack the t grub

    Die Globalisierung ist doch nur entführt worden. Wir piepels waren am zug weltübergreifend kontakte zu knüpfen die uns sinn machen sollten und das hat die konzerne auf den plan gerufen, die einfach ne tarnkappe drüber geschmissen haben und alles verkomplizieren und suggerieren und machen und tun.

    Wir sind am Zug.

  • HD
    Happy Days

    Günstiges Telefonieren als Globalisierungsgewinn der Deutschen. Hurrah! Wo ist Telefonieren eigentlich billiger geworden außer über voip? Wieviele Bundeshaushalte haben regelmäßige Auslandsgespräche? Wie hoch waren durchschnittliche Telefonrechnungen der siebziger, achtziger Jahre? Wie lange konnte man Ortsgespräche mit der Bundespost führen zu Tarifen, die kaum höher waren als der halbe Groschen bei Skype? Wieviele Rechnungen bleiben heute lange unbezahlt und erfordern mehr Personal und Aufwand in den "Hau- und Klauabteilungen" [hübsch: Mahnwesen] ? Zu Zeiten der Bundespost gab es weniger "Produkte" aber auch weniger Risiko, von Superangeboten verführt und in den finanziellen Ruin getrieben zu werden. Das Problem der Globalisierung scheint mir nicht der weltweite Markt sondern ein market of abundance, das Ejakulieren aller möglichen Produkte an einen Bevölkerungsteil, der nicht mehr weiß, was er nicht mehr braucht. Kaufrausch ist das Problem, nicht bloß fehlende regionale "Membranen". Ohne Globalisierung hätten wir diesen Überfluß so schnell nicht erkannt. Sie ist eine prima Therapie für das Leben mit einem Planeten und das Leben aus dessen Ressourcen. Sie schaffte Überblick über das Vorhandene in Qualität und Quantität. Nach dieser Erkenntnis kommt jetzt die anstrengende Entscheidung, ob man diese akzeptieren will und wieweit Veränderung erträglich ist. Geld ist ein gefährlich homogenisierender Stoff für solche Entscheidungen, der diese Erde in eine eintönige Wüste verwandelt, finde ich. Das sehen auch Konzerne aber scheinbar können sie nicht anders. Also müssen wir uns selbst helfen und ein wenig unabhängiger machen. Der Streß, den dies erfordert, kann nicht größer sein als ein temporärer und schlecht bezahlter Arbeitsplatz bei einer "BestCompanyToWorkFor".

  • RZ
    Rolf Zavelberg

    Die Legende vom Wettbewerb

    ist oft in taz zu lesen, beiläufig meist (um nicht zu sagen unreflektiert), zuletzt wieder an diesem Samstag im Interview von Stephan Kosch: Der Wettbewerb habe dafür gesorgt, dass günstiges Telefonieren möglich ist. Ist das so? Möglicherweise liegt es ja mehr daran, dass die „im Durchschnitt gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit“ zur Erbringung der diesbezüglichen Leistung extrem gesunken ist. Ein Beispiel: Wo früher ganze Häuser allein für die Vermittlung der Telefongespräche notwendig waren, reicht heute ein wenig Computertechnik mit einem Bruchteil an Platz- und Wartungsbedarf aus, um die gleiche Leistung zu erbringen. Dementsprechend gesunken ist auch der Bedarf an Personal, sprich der „im Durchschnitt gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit“.

    Die privatisierte Telekom konnte nicht deshalb so viele Leute „freistellen“ weil bei im staatlichen Fernmeldedienst alle faul waren, sondern weil sie wegen dieses enormen Produktivitätsfortschritts nicht mehr benötigt wurden. Übrigens: Die Privatisierung setzte in Deutschland erst ein (und war für „private“ Investoren auch erst interessant), als dieser Produktivitätsstand erreicht war.

    Sonnige Grüße aus Köln

    Rolf