Queere Parade in Berlin-Marzahn: Gegen Vorurteile und gegen Krieg

Die Veranstalter der Marzahn Pride rufen in diesem Jahr zur Solidarität mit der Ukraine auf. Sie richten sich dezidiert an die russische Community.

Eine Menschenmenge mit Fahnen und Plakaten in Regenbogenfarben

Teilnehmer der Marzahn Pride 2021 Foto: C. Spicker/AdoraPress

BERLIN taz | Dass man „Marzahn“ und „Pride“ im Zusammenhang hört – das ist das Verdienst des Vereins Quarteera. Schon zum dritten Mal wollen sie am Samstag mit einer Parade von der Kreuzung der Märkischen Allee und der Raoul-Wallenberg-Straße bis zum Victor-Klemperer-Platz ziehen. Dort endet die Pride in einem Straßenfest. Dieses Jahr steht die Solidarität mit ukrainischen Geflüchteten im Mittelpunkt der „Marzahn Pride“.

Mitorganisatorin Svetlana Shaytanova, gebürtige Russin, ist vor sieben Jahren aus Sibirien nach Deutschland gekommen, weil ihre Freundin hier lebte. Sie leitet ein Modellprojekt zu Vielfalt an der LGBTQIA*-Bildungstätte Akademie Waldschlösschen und arbeitet mit Quarteera zusammen. Quarteera ist ein 2011 gegründeter russischsprachiger Verein queerer Menschen in Deutschland. „Wir sind alle aus unterschiedlichen Ländern aus dem Post-Ost-Raum, und uns verbindet die russische Sprache“, sagt Shaytanova.

Der Marzahn Pride findet in diesem Jahr zum dritten Mal statt. 2020, als zum Anfang der Coronazeit der sonst riesige Berliner CSD abgesagt werden musste, konnten Quarteera einen eigenen kleinen Zug organisieren. Der Bezirk Marzahn-Hellersdorf sei bereits bei der Gründung Quarteeras sehr unterstützend gewesen und hätte sie mit eigenen Räumlichkeiten gefördert. Leider hatte Shaytanova feststellen müssen, das dem Bezirk nicht viele Ressourcen zur Förderung queerer Themen zur Verfügung gestellt wurde. Trotzdem habe Marzahn den eigenen kleinen CSD willkommen geheißen.

Sie sagt, sie hätten verschiedene Ziele verfolgt, wie die Sensibilisierung und Aufklärung für russischsprachige Migrant*innen, sowie die Unterstützung der Zivilgesellschaften in ihren jeweiligen Heimatländern. Die Berichterstattung über queere Menschen im Post-Ost-Raum sei ihnen ebenfalls sehr wichtig und die Unterstützung von Community Zentren für Künstler*innen.

Post-Ost-Community

„Marzahn ist für viele von uns mit seinen Plattenbauten und breiten Straßen eine Metapher für unser Heimatland, und wird oft von Ber­li­ne­r*in­nen als Ostbezirk wahrgenommen. Es leben da auch um die 30.000 Russischsprachige“, erzählt Shaytanova. Jetzt, da Marzahn durch den Ukrainekrieg einen großen Zuwachs an Ukrai­ne­r*in­nen bekommt, werde es umso diverser und Post-Ost-Community- Zentren wie Quarteera würden umso wichtiger.

Viele Geflüchtete sind bei der Planung der Pride und bei künstlerischen Auftritten dabei, um gemeinsam die Vielfalt und den Zusammenhalt zu feiern. Shaytanova rechnet damit, dass zahlreiche Ukrai­ne­r*in­nen länger in Marzahn bleiben werden, auch, weil die Mieten im Berliner Vergleich dort noch bezahlbar seien.

Marzahn Pride, Samstag, 18. Juni, 12 Uhr ab S-Bahnhof Raoul-Wallenberg-Straße

Shaytanova sagt von sich selbst, sie hätte sich vor ihrem Leben in Deutschland nie als lesbische Frau verstanden. „In Omsk war es für mich normal, mich zu verheimlichen und Zärtlichkeiten nicht der Öffentlichkeit zu zeigen,“ erzählt sie. „Es war für mich erst einmal sehr komisch, dass man es hier darf. Es war wie eine innere Hürde, die ich überwinden musste.“ Sie sagt, es habe Jahre gedauert, bis sie mit ihrer Identität im Klaren gewesen sei und zuhause ihr Coming Out gehabt habe.

Was den Ukrainekrieg betrifft verspürt Shaytanova sehr unterschiedliche Gefühle: „Es ist einerseits ein sehr überwältigendes Schamgefühl und man versucht damit klarzukommen.“ Sie habe mithilfe der anderen Quarteera-Mitglieder so schnell wie möglich versucht, eine Hilfestelle für Geflüchtete aufzubauen. Dies habe ihr mental sehr geholfen, aber auch für viele schlaflose Nächte und wenig Freizeit gesorgt.

Sie erzählt auch, wie sie manchmal auf die deutsche Bevölkerung wütend sei, wenn es hieße: „Alle Russen sind so.“ „Ich weißm ich bin Russin, aber ich bin nicht so,“ sagt sie. Sie erkenne ihre Privilegien und die kolonialistische Wahrnehmung, mit der sie aufgewachsen sei, aber sie identifiziere sich selbst nicht mit dem heutigen Russland.

Die Unterstützung queerer Ukrai­ne­r*in­nen sei besonders jetzt unglaublich wichtig. Queere ukrainische Organisationen förderten immer wieder den ukrainischen Wunsch nach Freiheit, Akzeptanz und Demokratie, indem sie gegen Russlands Unterdrückung queerer Menschen kämpften. „Putin hat früher schon häufig gesagt, dass Schwule Schuld an Corona seien,“ sagt Shaytanova mit einem bitteren Lächeln. „Jetzt sind wir an dem Krieg schuld. Wir queeren Menschen repräsentieren für Russland den Westen und seine demokratischen Werte.“

Unterstützung für Queers in Polen

Doch nicht nur in Russland bräuchten queere Menschen Unterstützung. Östliche europäische Länder wie Polen, die sogar in der EU seien, würden immer noch die Rechte queerer Menschen beeinträchtigen. Das Motto des „Marzahn Pride“ dieses Jahr ist deswegen „Bunt*уй“, ein Wortspiel aus dem russisch-ukrainischen Wort für „Rebelliere!“ und dem deutschen Wort „Bunt“, was für Vielfalt stehen soll. „Wir wollten sagen: steh auf und leiste Widerstand gegen Diktaturen und die Unterdrückung unserer Community. Es soll Solidarität mit Ukrai­ne­r*in­nen und der gesamten queeren Post-Ost-Community zeigen.“

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