Queen-Jubiläum in Großbritannien: Glänzender Spiegel der Nation
Am 6. Februar 1952 wurde die junge Elizabeth Windsor britische Königin. Sechzig Jahre später ist vieles ganz anders geworden - und die Queen den Briten vertrauter denn je.
Jeder Brite kennt die Queen. Kein Gesichtszug, keine Regung von Elizabeth II. war nicht schon hundertfach auf Zeitungsfotos oder im Fernsehen. Man weiß alles über ihre Auftritte, über Höhen und Tiefen.
Eigentlich kennt kein Brite die Queen. Keine politische Positionierung, keine Meinungsäußerung von Elizabeth II. ist jemals publik geworden. Man weiß nichts über ihre Gedanken, über Erlebnisse und Enttäuschungen.
Vor genau 60 Jahren wurde Elizabeth Windsor Königin von Großbritannien, als ihr Vater George VI. starb. Sie regiert inzwischen länger als alle ihre Vorgänger mit Ausnahme von Queen Victoria (1837-1901), und ihr diamantenes Jubiläum wird neben den Olympischen Spielen in London das größte britische Ereignis des Jahres. Aber es wird kein Fest der Superlative. Dafür reicht weder das Geld noch die Stimmung. Großbritannien ist 2012 ein in sich gekehrtes Land, das sich auf harte Zeiten eingestellt hat.
Das war 1952 ziemlich ähnlich. Damals war der Zweite Weltkrieg gerade erst vorbei, die Siegernation Großbritannien war ausgelaugt und müde. Der Koreakrieg tobte, atomare Aufrüstung war das Gebot der Stunde. Winston Churchill war wieder Premierminister, in Moskau regierte Josef Stalin. Das Empire war durch die Unabhängigkeit Indiens im Zerfall begriffen. In der Heimat herrschte immer noch kriegsbedingte Rationierung.
Von der Safari-Lodge direkt zum Königlichen Rat
Und ausgerechnet in dieser schweren Zeit wurde eine 25-Jährige völlig unvorbereitet Staatsoberhaupt. Elizabeth befand sich gerade mit ihrem Ehemann Prinz Philip in in Kenia, als in London ihr Vater starb. Zur Stunde seines Todes am frühen Morgen des 6. Februar 1952 beobachtete sie in einer Safari-Lodge den afrikanischen Sonnenaufgang. Zwei Tage später schon leitete sie die erste Sitzung des Königlichen Rates im Londoner St Jamess Palace.
Geboren wurde Her Royal Highness Princess Elizabeth Alexandra Mary of York am 21. April 1926 in Mayfair, London, als älteste Tochter von König George VI. und Elizabeth Bowes-Lyon. Zum Zeitpunkt ihrer Geburt stand sie an dritter Stelle der Thronfolge, nach ihrem Onkel, dem Prince of Wales und späteren König Edward VIII., und ihrem Vater. Unterrichtet wurde sie zu Hause gemeinsam mit ihrer Schwester Prinzessin Margaret (geb. 1930), unter anderem vom Erzbischof von Canterbury. Elizabeth schloss sich 1944 dem Heimathilfsdienst an und wurde zur Automechanikerin ausgebildet. Sie war das erste und bis 2006 einzige weibliche Mitglied der königlichen Familie, das Militärdienst geleistet hat. Nachdem ihr Vater 1936 die Thronfolge übernahm, studierte sie als „voraussichtliche“ Thronfolgerin Verfassungsgeschichte und Jura, daneben Kunst und Musik. Sie lernte Reiten und war eine ausgezeichnete Schwimmerin. Am 20. November 1947 heiratete Elizabeth ihren Cousin dritten Grades, Sir Philip Mountbatten. Mit ihm hat sie vier Kinder: Charles (1948), Anne (1950), Andrew (1960) und Edward (1965), acht Enkel und einen Urenkel. Am 6. Februar 1952, dem Todestag ihre Vaters, wurde Elizabeth vom Thronfolgerat als Königin des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland proklamiert. Darüber hinaus ist sie das Staatsoberhaupt von 15 weiteren Staaten, darunter Kanada, Neuseeland, Australien, Papua-Neuguinea, den Bahamas und diversen anderen Inselstaaten.
"Ich spürte ihre Trauer, als sie uns einfach mit erhobener Hand grüßte, während wir stillstanden, unsere Kameras zu unseren Füßen", erinnerte sich ein Fotograf daran, wie die Queen in Kenia zum Abflug aufbrach. "Die Mitglieder des Königliches Rates sahen plötzlich unendlich alt, verwittert und grau aus", erinnerte sich ein Lord daran, wie sich zwei Tage später in London die Tür zum "Privy Council" öffnete und erstmals die zierliche junge Frau in Schwarz hereinkam.
Die Krone ist Staatsmacht
Elizabeth II. ist heute nicht mehr 25, sondern 85. Damals bewunderte man sie wegen ihrer Jugend, heute wegen ihres Alters. Die altmodischen Tugenden aus dem Jahr 1952 sind 2012 wieder zeitgemäß: Diskretion, Pflichtbewusstsein, Genügsamkeit und die Fähigkeit, sich nichts anmerken zu lassen und andere nicht mit der eigenen Meinung zu belästigen.
Die Queen ist ja nicht als Person interessant, sondern als Trägerin der britischen Krone, dem ältesten ungebrochen funktionierenden Souverän der Welt. Die Krone ist in Großbritannien nicht einfach "Pomp and Circumstance", wie Touristen glauben, sondern die Staatsmacht. Von ihr, nicht vom Volke, geht alle Macht aus. Regierung und Staat handeln in ihrem Namen. Die jährliche Regierungserklärung im Parlament ist die "Queens Speech". Man zieht "for Queen and Country" in den Krieg. Schwerverbrecher bleiben in Haft "at Her Majestys Pleasure" ("nach Belieben Ihrer Majestät").
Hausfrauen und die "Sex Pistols"
Wie aus solchen Denkmustern lange Zeit gesellschaftlicher Zwang auf allen Ebenen abgeleitet wurde, weiß jeder, der parallel zu Elizabeth II. in England aufgewachsen ist. Die englische Hausfrau war angehalten, das Eigenheim jederzeit so perfekt aussehen zu lassen, dass man sich nicht schämen muss, falls plötzlich die Queen zum Tee vorbeikommt.
Als englischer Oberschüler hatte man am Dienstagnachmittag, wenn es weder Rugby (im Winter) noch Kricket (im Sommer) gab, die Wahl zwischen der "Combined Cadet Force", einer Art Wehrdienstübung mit Paraden in Uniform auf dem Schulhof, und dem nach dem Ehemann der Queen benannten "Duke of Edinburgh Award Scheme", eine Art Zivildienstübung mit Punktesammeln durch soziale Teamarbeit. Es ging darum, allzeit bereit zu sein, falls die Queen ruft. Das war alles hoffnungslos uncool, aber selbst popkulturell arbeitete man sich daran ab. Die Konformisten verehrten Queen und Freddie Mercury, der sich erst später als schwul outete. Die Entgegnung darauf war Punk: die Sex Pistols, die mit ihrem No-Future-Hit "God Save the Queen" zum silbernen Jubiläum von Elizabeth II. 1977 die Charts stürmten.
Ein solcher Kulturkrieg wäre heute nicht mehr möglich. Die Krone funktioniert nicht mehr so. Das Leben ist weniger autoritätshörig, die spießige Nachkriegsgeneration ist Vergangenheit. Die Queen ist geblieben, aber statt der Krone als Institution rückte sie selbst samt ihren Angehörigen als Person ins Scheinwerferlicht. Statt Würde und Zeremoniell verkörperte die Familie Windsor plötzlich eine Seifenopfer in Echtzeit.
Beichtstuhl für alle Politiker Großbritanniens
Das war zwar genauso artifiziell wie vorher, aber es beförderte die kulturelle Liberalität. Und inzwischen ist die Faszination, endlich hinter die Kulissen blicken zu können, schon wieder einem neuen Respekt vor der Privatsphäre gewichen, wie der sehr unterschiedliche Umgang mit Prinzessin Catherine heute und Prinzessin Diana vor zwanzig Jahren zeigt.
Auch die Institution Krone hat sich verändert. Anfangs war die junge Queen die Fassade der imperialen Macht. Heute ist der Machtkoloss geschrumpft, aber die alte Queen ist die erfahrenste politische Figur der Welt und für die Politiker Großbritanniens eine Art Beichtstuhl. Sie kennt jeden von Rang und Namen seit sechzig Jahren, und in keinem anderen Land haben Regierungschefs einen ähnlich wertvollen Gesprächspartner, auf den sie sich bis zum Tod verlassen können. Könige schreiben keine Memoiren, haben keine eventuell peinliche Karriere vor und nach dem Amt.
Die Queen ist für Großbritannien das vertraute Gesicht der vergangenen sechzig Jahre geworden. Sie ist ein Spiegel der Nation, in dem sich jeder selbst wiederzuerkennen glaubt, aber den niemand durchschaut. Wenn die Briten über den Kanal blicken, sehen sie Nicolas Sarkozy und Christian Wulff - und schätzen sich glücklich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag