Quecksilber im Wattenmeer: Die unterschätzte Gefahr
Neue Studien weisen darauf hin, dass die Meere und Fische immer stärker mit Quecksilber belastet sind. Die meisten Emissionen kommen aus Kohlekraftwerken.
BREMEN taz | Die Antwort der Bundesregierung ist kurz und nichtssagend: Es liegen „keine konkreten Informationen“ über Auswirkungen von Quecksilberemissionen aus Kohlekraftwerken auf das Wattenmeer vor. Es folgt ein allgemeiner Hinweis, dass Quecksilber toxisch auf Lebewesen wirke und Ökosysteme stören könne.
Doch die Gefahren, die von dem giftigen Schwermetall ausgehen, sind neueren Erkenntnissen zufolge offenbar viel größer, als es in dem kurzen Text aus dem Bundesumweltministerium den Anschein hat. Der niedersächsische Bundestagsabgeordnete Peter Meiwald (Die Grünen) fordert deshalb Union und SPD auf, „endlich strengere Grenzwerte einzuführen“. Doch bisher sieht die Bundesregierung dafür keine Notwendigkeit.
Einer erst kürzlich veröffentlichten Studie aus den USA zufolge hat sich die Quecksilber-Menge im Oberflächenwasser seit dem 16. Jahrhundert verdreifacht. In den Übergangsschichten zwischen relativ warmem und kaltem Wasser in der Tiefe sei die Belastung immer noch um geschätzte 150 Prozent angewachsen, schreiben die Forscher des Ozeanischen Institut Woods Hole im Fachmagazin Nature. Ihre Grundlage sind Messungen im Atlantik, Pazifik sowie in den südlichen und arktischen Ozeanen. Bis 2050 könnte sich die Belastung, verglichen mit dem 16. Jahrhundert, sogar verfünffachen, schreiben die Forscher.
Das ist ein Problem, weil in den betroffenen Meeresschichten Fisch gefangen wird. In den Tieren reichert sich das Quecksilber über die Nahrungskette schrittweise, aber stark an, wie neuere Untersuchungen an anderer Stelle belegen. Vor allem ältere und größere Raubfische, etwa Hecht, Schwert oder Thunfisch, können hohe Quecksilberbelastungen erreichen. Das zumindest geht aus einer neueren Studie hervor, die die grüne Bundestagsfraktion in Auftrag gegeben hat. Ihr zufolge wird der Mensch vor allem durch Fischkonsum unmittelbar mit Quecksilber belastet. Laut der Bundesregierung nimmt der „Durchschnittsverzehrer“ aber nur elf Prozent der tolerierbaren täglichen Menge auf, für „Vielverzehrer“ werden 34 Prozent angegeben. Legt man US-Grenzwerte zugrunde, so ergeben sich deutlich höhere Belastungen für jene, die viel Fisch essen.
Quecksilber bedeutet ursprünglich "lebendiges Silber" und ist mindestens seit der Antike bekannt.
Es ist ein silberweißes Schwermetall, aber auch ein Nervengift, das bereits bei Zimmertemperatur Dämpfe abgibt. Diese wirken stark toxisch, wenn sie eingeatmet werden.
Toxisch sind aber auch organische Quecksilberverbindungen, wenn sie mit der Nahrung - beispielsweise Fische - aufgenommen werden. Sowohl akute als auch chronische Vergiftungen sind möglich. Besonders gefährdet sind Föten, Säuglinge und Kleinkinder.
Die weltweit wichtigsten Emissionsquellen für Quecksilber sind die kleingewerbliche Goldgewinnung, aber auch Kohlekraft sowie Zementwerke und Metallhütten.
Quecksilber ist aus Neonröhren, Energiesparlampen und Batterien bekannt. Doch in der Schadstoffbilanz habe all das nur geringe Bedeutung, heißt es im Hamburger Institut für Ökologie und Politik. Die meisten Emissionen hierzulande, so die Studie der Grünen, stammten aus Kohlekraftwerken: In den Jahren 2010 bis 2012 kamen in Deutschland 70 Prozent aller Quecksilberemissionen aus dem Energiesektor, vor allem aus Braun und Steinkohlemeilern.
In den USA wurden die Grenzwerte für Quecksilberemissionen aus Kohlekraftwerken 2012 deutlich gesenkt. Da sie anders berechnet werden als hierzulande ist die Vergleichbarkeit umstritten. In Deutschland gelten maximal 30 Mikrogramm im Tages und – ab 2019 – zehn Mikrogramm im Jahresmittel als akzeptabel. In den USA sind es, umgerechnet, laut den Grünen, 1,4 Mikrogramm für Steinkohle-Kraftwerke und 4,1 Mikrogramm für Braunkohlemeiler.
Vorbild: USA
Würde man diese Grenzwerte bei uns anwenden, so die Grünen, dann hätte 2012 lediglich eines von 50 Kohlekraftwerken die Norm erfüllt. In den USA müssen 2016 alle Kohlemeiler diese Grenzwerte erfüllen. Würden sie auch in Deutschland gelten, könnte die Quecksilberbelastung aus Kohlemeilern um mehr als die Hälfte reduziert werden.
Dass ausgerechnet in den USA strengere Grenzwerte gelten, sei „ein Armutszeugnis“ für die Bundesregierung, findet Meiwald. Die Quecksilberemissionen in Nordsee und Wattenmeer müssten „endlich verringert“ werden. Doch die Bundesregierung sieht sich schon als Vorbild: Deutschland sei „eines der wenigen Länder in Europa“, das überhaupt solche Grenzwerte eingeführt habe. Ein EU-weiter Grenzwert „konnte bislang nicht durchgesetzt werden“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken