Qualitätsbericht: Eine Frage der Pflege

Der gestern vorgestellte Bericht zur Qualität der Pflege meldet leichte Verbesserungen.

Jeder Dritte nicht angemessen versorgt: Senioren im Pflegeheim Bild: dpa

Die 69-jährige Frau litt an Druckgeschwüren und war auf 48 Kilo abgemagert. Für den Medizinischen Dienst der Krankenkasse (MDK), die das Pflegeheim der alten Frau überprüfte, war klar: Die Patientin war nicht häufig genug gedreht, eingerieben oder richtig gebettet worden. Auch auf ihre Ernährung wurde viel zu wenig geachtet.

Das Gesundheitsministerium erarbeitet derzeit einen Gesetzentwurf zur Reform der Pflegeversicherung. Grundlage dafür sind Eckpunkte, auf die sich die Koalition im Juni geeinigt hat.

Demnach sollen Demenzkranke künftig bis zu 2.400 Euro im Jahr erhalten, auch wenn sie noch keine Leistungen aus der Pflegeversicherung beziehen. Dies soll jährlich zwischen 300 und 500 Millionen Euro kosten. Teurer wird die Dynamisierung der Pflegesätze. Im ambulanten Sektor und für Schwerpflegebedürftige in Heimen werden sie bis zum Jahr 2012 in drei Schritten erhöht. Nach Angaben von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) wird dies anfangs jährlich 420 Millionen Euro kosten und im Folgenden teurer werden.

Beschlossen hat die Koalition ferner die Einführung einer sechsmonatigen Pflegezeit, in der sich Angehörige unbezahlt von der Arbeit freistellen lassen können - allerdings nur, wenn sie in einem Unternehmen mit mehr als zehn Beschäftigten arbeiten. Nach den Plänen sollen die Pflegenden kranken-, pflege- und rentenversichert bleiben.

Für Aufregung hat Schmidts Ankündigung gesorgt, dass Angehörige, wie im Papier der Koalition bereits vorgesehen, künftig bis zu zehn Tage Urlaub bekommen, wenn in ihrer Familie unerwartet ein Pflegefall eintritt. Den pflegenden Angehörigen soll, ähnlich wie Eltern, die bei ihrem kranken Kind zu Hause bleiben, ein Anspruch auf Krankengeld gewährt werden. Zudem sollen "Fallmanager" in "Pflegestützpunkten" die Bürger beraten.

Finanzieren will man die Reformen durch eine Erhöhung des Beitrags zur Pflegeversicherung. Er soll zum 1. Juli 2008 von derzeit 1,7 auf 1,95 Prozent erhöht werden. Kinderlose zahlen wie bisher schon 0,25 Prozentpunkte mehr.

Ihr Fall ist in den Pflege-Qualitätsbericht des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen (MDS) eingegangen. Um die Qualität der Pflege und den Gesundheitszustand der Patienten zu ermitteln, wurden 8.000 Heime und Pflegedienste und 40.000 Pflegebedürftige untersucht. Das Ergebnis lautet: Etwa jeder dritte pflegebedürftige alte Mensch in Deutschland wird nicht angemessen versorgt.

Bei 34 Prozent der Heimbewohner und 29 Prozent der Menschen, die zu Hause von Pflegediensten betreut werden, wird nicht ausreichend auf die Ernährung und die Flüssigkeitsversorgung geachtet. Manche kriegen schlicht zu wenig zu Essen und zu Trinken - vielleicht, weil niemand Zeit hat, ihnen auf die Toilette zu helfen. Bei anderen Patienten wird das Gewicht nicht kontrolliert oder der Energiebedarf nicht ermittelt, betonte Jürgen Brüggemann vom MDS.

Die Vorbeugung gegen das Wundliegen bei 35 Prozent der Heimbewohner und 42 Prozent der ambulant Versorgten wird vernachlässigt, was zu großflächigen Druckgeschwüren führen kann. Fast ein Drittel der Demenzkranken werden in Pflegeheimen nicht angemessen versorgt; bei denen, die zu Hause gepflegt werden, ist es ein Viertel.

Jeder zehnte Patient im Heim und jeder zwanzigste zu Hause leidet nachweisbar unter gravierenden Folgen der Pflegemängel. Sie sind unternährt und leiden unter Flüssigkeitsmangel, sind schlecht versorgt mit Windeln oder Kathedern, haben Druckgeschwüre und bekommen zu viele oder falsche Medikamente. Oft werden ihnen Psychopharmaka zum Ruhigstellen verabreicht.

Gemessen an dem ersten Pflegebericht des MDS, der vor drei Jahren veröffentlicht wurde, hat sich dennoch die Qualität leicht verbessert. Damals litten noch 17 Prozent der Heimbewohner und 9 Prozent der ambulant Versorgten unter den Folgen schwerer Pflegemängel. MDS-Geschäftsführer Peter Pick aber räumte ein, dass der Qualitätsbericht keine genauen Aussagen zulasse. Die Quote der Pflegebedürftigen mit Unterernährung oder Druckgeschwüren würden nicht ermittelt. Zudem meldet der MDK noch immer einen großen Teil seiner Prüfbesuche an. Kritiker gehen deshalb davon aus, dass der Zustand in der Pfege weit schlechter ist als beschrieben.

Nach den Angaben des MDS sind teure Heime nicht besser als günstigere. "Mit einem hohen Preis kaufen Sie nicht automatisch gute Pflege", sagte Brüggemann. Auch ein Zertifikat sei kein Qualitätskriterium. Schließlich zertifizierten sich manche Trägerverbände selbst. An einem bundesweit einheitlichen Qualitätssiegel aber fehle es weiterhin. Bislang haben Pflegebedürftige und ihre Angehörigen keinen Zugang zu dem MDK-Einzelbericht. Das soll sich ändern. Die Pläne der Koalition zur Pflegereform sehen vor, dass die Berichte künftig in allgemeinverständlicher Sprache veröffentlicht werden.

Doch die Prüfungen des MDK können schon jetzt den Pflegebedürftigen nutzen: Als das Heim der eingangs beschriebenen alten Dame nach 13 Monaten noch einmal kontrolliert wurde, waren ihre Druckgeschwüre abgeheilt. Und 15 Kilo zugenommen hatte sie auch.

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