Qualität im Online-Lexikon: Wikipedias Vertrauensinitiative
Jeder kann das populäre Online-Lexikon verändert - nicht nur zum guten, sondern auch im Eigeninteresse. Neue Software-Werkzeuge sollen solche Fälle schneller aufdecken.
Als im Sommer erstmals die Wikipedia-Software "Wikiscanner" auftauchte, mit der man die Herkunft anonymer Einträge und Veränderungen in dem Online-Lexikon schnell den Netzen von Organisationen zuordnen konnte, war das Presseecho riesig. Der Beweis schien erbracht, dass die Enzyklopädie, bei der jeder mittexten darf, ständigen Angriffen und Umgestaltungen durch jene ausgesetzt ist, über die eigentlich neutral geschrieben werde sollte. Es gab ja auch genügend interessante Beispiele und Zitatstellen: Mitarbeiter mit PCs aus dem Hauptquartier von Finanzinstituten, die ihr Geschäftsmodell in den höchsten Tönen selbst lobten oder Politiker, die sich offensichtlich von ihren Öffenlichkeitsarbeitern aufgehübschte Lebensläufe einstellen ließen, Absender: Parlamentsrechner.
Allein, viele dieser parteiischen "Edits", wie Veränderungen an bestehenden Wikipedia-Texten genannt werden, bestanden jeweils nur kurze Zeit. Die Online-Enzyklopädie hat inzwischen ein derart großes Team an Freiwilligen, dass Merkwürdigkeiten, die nicht den durchaus klar formulierten Standards entsprechen, erstaunlich schnell behoben werden. Dass jeder Mitschreiben kann, bedeutet eben auch, dass jeder dabei helfen darf, Blödsinn aus dem Lexikon zu tilgen.
Um das Vertrauen in die Web-Enzyklopädie zu steigern und Missbrauch schneller den Nutzern gegenüber deutlich zu machen, arbeitet die Wikipedia-Gemeinschaft aktuell an neuen Regelungen. Sie könnten, berichtete der New Scientist am Donnerstag, bereits in diesem Monat testweise eingeführt werden.
Zu den Möglichkeiten, die in Erwägung gezogen werden, gehört das Einziehen von Hierarchieebenen. In der deutschen Wikipedia wird schon seit längerem disktuiert, wichtige Artikel nur noch von länger aktiven Mitgliedern mit sofortiger Freigabe editieren zu lassen. Diese "vertrauenswürdigen Redakteure" hätten dann allerdings viel Arbeit - und dem egalitären Anspruch des Projektes wird dies auch nicht gerecht. In der US-Version neigt man daher eher dazu, solche "vertrauenswürdigen Versionen" zwar zu implementieren, sie aber erst nach einem Extraklick anzuzeigen.
Interessanter ist da schon eine andere, eher technische Methode. Dabei blieben die Artikel weiter von jedermann editierbar, doch Textblöcke würden nach Vertrauenswürdigkeit sortiert. Passende Daten liegen eigentlich längst vor - denn Redakteure, deren Änderungen lange im System verbleiben, bekommen mehr "Vertrauenspunkte", ganz neue Nutzer hingegen erst einmal wenige. Eine solche Software orientiert sich dabei am menschlichen Urteilsvermögen, auch wir gehen kaum anders vor, wenn wir andere Menschen bewerten, ihnen erst langsam vertrauen. Allerdings wird der neue Nutzer, der beispielsweise einen Fehler ausbügelt, dadurch zunächst möglicherweise "bestraft", weil sein Textblock als wenig vertrauenswürdig gekennzeichnet ist.
Ein Online-Lexikon im Konsens der Nutzer zu verfassen, ist eben nicht besonders leicht. Doch das bisher erreichte und die starke Annahme der Wikipedia durch die Nutzerschaft überträgt der großen Gemeinschaft eben auch eine große Verantwortung. Die Grundprinzipien sind indes klar: Primärrecherchen sind verboten, alle Inhalte müssen aus vertrauenswürdigen Quellen nachvollziehbar sein.
Theoretisch bietet Wikipedia schon heute Werkzeuge an, mit deren Hilfe sich jeder über die dynamischen Veränderungen von Lexikon-Einträgen informieren kann. Jeder User kann, wenn er auf "History" ("Versionen") oberhalb der Überschrift klickt, alle Edits im Vergleich begutachten, mit "Related Changes" ("Änderungen an verlinkten Seiten") Seiten abklären, die mit dem Eintrag verlinkt sind oder über eine Watchlist beobachten, was sich wo verändert. Doch nur die wenigsten Wikipedia-Nutzer arbeiten so mit dem Online-Lexikon. Sie sind vor allem auf die Haupteintragsseite fixiert.
Denn vielen Nutzern des Online-Lexikons ist nicht bewusst, dass der Text, den sie gerade lesen, nur eine Version ist, die in wenigen Minuten verbessert werden könnte. Man behandelt das hoch dynamische Online-Lexikon im praktischen Gebrauch gerne monolithisch - ein Mangel an Medienkompetenz, der schnell problematisch werden kann.
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