QUERSPALTE: Ausgleichende Gerechtigkeit
■ Bayerns Volksvertreter wahren den sozialen Abstand
Mit Entsetzen mußten die ohnehin schon verarmten Abgeordneten im bayerischen Landtag feststellen, daß die Sozialhilfe schon wieder erhöht werden soll. Die Vorstellung eines Sozialhilfeempfängers beim Erklimmen weiterer Leitersprossen nach oben, im Arm den vollgepackten Warenkorb, peinigte die Volksvertreter derart, daß sie nur einen Ausweg sahen: ihre mageren Diäten von insgesamt 11.829 Mark zu erhöhen. Ergo: Monat für Monat, und das rückwirkend vom Januar dieses Jahres an, stecken sie jetzt 312 Mark mehr ein. Der Abstand zu den niederen Schichten ist damit Gottseidank wieder gewahrt und kein Sozialhilfeempfänger drängelt sich mit den Abgeordneten beim Auffüllen ihres Warenkorbs an der Ladentheke bei Feinkost-“Käfer“. Die Gefahr ist gebannt.
Doch nicht alle spüren die segensreichen Folgen dieser ausgleichenden Gerechtigkeit. Gerade die am Ende der Leiter sollen jetzt noch auf die Knie fallen vor soviel Zuwendung. Den Asylbewerbern wird zwar in weiser Voraussicht erspart, daß sie selbst mit ihrem Warenkorb in die kalten Supermärkten einkaufen gehen müssen, weil die Leitung der Sammmelunterkunft ihre Sozialhilfe gleich kassiert und ihnen nur ein Taschengeld austeilt. Doch von der „ausgleichenden“ Erhöhung der Sozialhilfe sind nicht alle betroffen. So bekommt die Asylbewerberfamilie in der Sammelunterkunft Weiden mit ihren fünf kleinen Kindern seit Anhebung des Sozialhilfesatzes im Juli plötzlich weniger Taschengeld. Waren es bisher 373, sind es jetzt noch ganze 356 Mark. Diese Kürzung verdankt die Familie der „Egalisierung“. Die Leitung der Sammelunterkunft hat nämlich, um sich lästige Rechnereien zu ersparen, den „Taschengeldprozentsatz“, den sie von der Sozialhilfe an die Flüchtlinge weitergibt, gekürzt. Vor allem Familien mit Kindern sind damit automatisch benachteiligt.
Sollen die höheren Diäten der bayerischen Landtagsabgeordneten auf diesem Weg finanziert werden? Im bayerischen Sozialministerium will man davon gar nichts wissen. Das Ganze sei ein Einzelfall. Und ob das Taschengeld wirklich gekürzt wurde, prüft das Ministerium ergebnislos bereits seit zwei Wochen. Vielleicht wäre die einfachste Lösung dieses immer wieder auftauchenden Problems mit der „ausgleichenden Gerechtigkeit“, daß auch Landtagspräsident Heubl seinen Volksvertretern einen Warenkorb persönlich überreicht. Dann müßten sie bestimmt keine Angst mehr haben, von den Sozialhilfeempfängern am Futtertrog bedrängt zu werden. Natürlich darf die Schampusflasche im Freßkorb nicht fehlen. Aber Heubl wird schon wissen, wie groß der Abstand zwischen einem Volksvertreter und einem Sozialhilfeempfänger sein muß – ein BMW muß drin sein.
Untertänigst (ohne Freßkorb): Luitgard Koch
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