QUERSPALTE: Brücken bauen
■ Der Streik der deutschen Zahnärzte sollte die Flüchtlingsquote erhöhen
Die rheinländischen Zahnärzte legen die Bohrer nieder, und alle Nerven liegen bloß: Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer bezeichnet die Aktion der Mediziner als „absolut maßlos“, und der stellvertretenden Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Ursula Engelen-Kefer, blieb gar der Kiefer offen stehen: einen „Streik der Millionäre“ nannte sie die Arbeitsverweigerung dieser Gruselgestalten der Kindheit, die sich mit sardonischem Lächeln über unsere gelblichen Rümpfe und Stümpfe beugen. Den schönsten Lacheffekt evozierten die Zahnmeister selbst: „Wir sehen die Patienten als unsere Verbündeten“, erklärte der Landesvorsitzende des Freien Verbandes Deutscher Zahnärzte, der mit diesem Zitat in der Redaktionskonferenz dafür sorgte, daß sich vor Vergnügen alle Füllungen lockerten. Da haben sie wohl Pech, die Goldgräber der Mundhöhlen; mental wie dental sind wir PatientInnen der Gesundheitsreform längst auf der anderen Seite der Barrikade — geschröpft, erschöpft und ausgeplombt. Ein Kollege aus der Kulturredaktion, gesundheitsbewußt und müsliverwöhnt wie alkoholisch genügsam, sprach aus, was alle dachten: „Sollen sie ihren Mehrwert doch verfrühstücken, bis ihre Leber kariös geworden ist!“ Die Berichterstattende selbst massierte unterdessen demütig eine Zahnwurzel, welche schon seit Wochen der sorglichen Fachbehandlung bedarf, und schwieg. Ein dritter erinnerte in reflektiertem Ernst daran, daß die Zahnärzte vor noch nicht allzu langer Zeit mit den Henkern gemeinsam nicht innerhalb, sondern außerhalb der Friedhöfe bestattet wurden; der Rest der tazlerInnen ging im Geiste die Zusatzrechnungen des letzten Jahres noch einmal durch und inspizierte für den Fall eines Berliner Streiks alle Bindfäden und Türklinken im Haus. Bonn liegt in Nordrhein-Westfalen, der Bundestag hat derzeit Sommerpause. Sollte der Notstand anhalten, ist allerdings nicht auszuschließen, daß die Regierung sich unserer Forderung anschließt, die Flüchtlingsquote zu erhöhen: Für unsere zahnlosen Polit-Journalisten spielt der Streik keine Rolle, für die maulfaulen Politiker aber schon. Und selbst im tiefen und verrohten Balkan, vor dessen Ansturm der Spiegel uns schon auf dem Titel warnt, gibt es DentistInnen. Die Devise lautet: Brücken bauen. Elke Schmitter
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