Putschversuche in Großbritannien: Labour-Partei erlebt ihr Waterloo
Nur Platz drei und das schlechteste Ergebnis seit dem Ersten Weltkrieg: Der britische Premier Gordon Brown muss jetzt Putschgelüste abwehren.
DUBLIN taz | Für die britische Labour Party kam es schlimmer, als selbst die größten Pessimisten befürchtet hatten. Die Regierungspartei kam bei den Europawahlen gerade mal auf knapp 16 Prozent - das schlechteste Ergebnis seit dem Ersten Weltkrieg. Vor allem in den bisherigen Hochburgen im industrialisierten Norden brach Labours Stimmanteil wie schon bei den Kommunalwahlen am Donnerstag ein. In Wales wurde Labour zum ersten Mal seit 90 Jahren von den Tories überholt. In Cornwall im Südwesten Englands landete die Partei hinter der separatistischen Cornish Nationalist Party und den Grünen auf dem sechsten Platz.
Landesweit rangierte Labour nicht nur weit hinter den Tories, sondern auch hinter der Europa-feindlichen rechten UK Independence Party. Obendrein schafften die Nazis von der British National Party (BNP) zum ersten Mal den Einzug ins Europaparlament. Sie gewannen zwei Sitze in Nordengland, wo sie schon zuvor gut abgeschnitten hatten.
So gab es auch für die Tories und die Liberalen Demokraten wenig Grund zum Jubel. Zwar lagen die Konservativen am Ende rund zehn Prozent vor Labour, aber im Vergleich zu den letzten Wahlen büßten auch sie Stimmen ein. Die Liberalen kamen nur auf den vierten Platz. Die drei im Unterhaus vertretenen Parteien gaben sich gegenseitig die Schuld am Rechtsruck, der sich fast durch das ganze Land zieht. Lediglich in Schottland kamen die rechten Parteien nicht zum Zuge. Dort gewann die Regierungspartei Scottish National Party mit zehn Prozent Vorsprung vor Labour, die Tories kamen lediglich auf 16,8 Prozent.
Premierminister Gordon Browns Zukunft ist ungewisser denn je. Die Dissidenten, die hauptsächlich aus dem Lager von Tony Blair kommen, drohen seit voriger Woche damit, eine Neuwahl des Labour-Chefs zu erzwingen. Die dazu notwendigen 72 Unterschriften von Labour-Abgeordneten haben sie beisammen, behaupten sie.
Wie unsicher Brown sich fühlt, zeigt die Tatsache, dass er gestern bei der Umbesetzung der niederen Ränge seiner Regierung vor der Postenvergabe Loyalitätserklärungen verlangte. Die Staatssekretärin im Umweltministerium, Jane Kennedy, weigerte sich, eine solche Erklärung zu unterschreiben, und wurde entlassen. Lord Falconer, der ehemalige Justizminister, forderte Brown am Wochenende auf, zu gehen. "Ich glaube, wenn wir den Premierminister auswechseln, können wir gestärkt in die nächsten Wahlen ziehen, wann immer sie sein mögen."
Will er den Putschversuch überleben, muss Brown verhindern, dass sich der linke Parteiflügel mit Blairs Leuten gegen ihn verbündet. Deshalb ist er zu Zugeständnissen bereit. So soll die Privatisierung der Post vorerst auf Eis gelegt, die Untersuchung der Grundlagen für den Irakkrieg vorgezogen werden. Browns stärkste Waffe aber ist die Angst: Bei einem erneuten Führungswechsel in dieser Legislaturperiode wäre die Regierungspartei zwar nicht gesetzlich, wohl aber moralisch verpflichtet, sich durch vorgezogene Parlamentswahlen zu legitimieren. Wie diese Wahlen ausgehen würden, können sich nach dem Wahldebakel auch die Dissidenten ausrechnen. RALF SOTSCHECK
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