: Puschel im Sturm
TV-Außenreporter scheuen weder Wind noch Wetter – auch „Kyrill“ nicht. Sie machten den Sturm zum Ereignis
Gut, dass wir am Donnerstagabend nicht auf Sylt waren – viel zu gefährlich! Woher wir das wissen? Von Ines Trams. Die ZDF-Reporterin war nämlich da und konnte sich kaum auf den Beinen halten, als sie mit im Laufe des Abends wechselnden Moderatoren über Orkan „Kyrill“ plauderte. Zu erzählen hatte sie nicht viel – außer dass ihr Kameramann sich an einem Pfahl festgebunden habe, um überhaupt filmen zu können.
Reporter gehen für uns dahin, wo’s weh tut. Das ist ihr Job. Wir gucken ihnen vom Sofa aus dabei zu, wie der Sturm ihre Frisuren genauso zerzaust wie den Puschel des auf sie gerichteten Mikrofons. Oder wie sie Angst haben. Eingebrannt hat sich das Bild des ARD-Korrespondenten Stephan Kloss, der im Irakkrieg vom Dach des Hotel Palestine in Bagdad berichtet hat – manchmal trug er dabei einen Schutzhelm auf dem Kopf, manchmal tauchte er auch ab, weil eine Bombe ganz in der Nähe eingeschlagen war. Gut, dass wir da nicht stehen mussten – viel zu gefährlich!
In solchen Momenten sind Reporter uns am nächsten: wenn sie uns als Menschen begegnen und nicht als komplexe Sachverhalte referierende Journalisten: Je bedrohlicher die Umstände, desto menschlicher wirken sie und desto mehr fühlen wir als Zuschauer mit ihnen.
Derlei dürfen die aus Wildbad Kreuth oder von anderen politischen Ereignissen berichtenden Reporter nicht erwarten – es sei denn, es wird Nacht und die Koalitionsverhandlungen dauern an. Wenn die Umstände keine Rücksicht auf Feierabend und Augenringe nehmen, haben auch sie die Zuschauer auf ihrer Seite. Einen übernächtigten, unkonzentrierten Reporter haben wir lieber zu Gast in unseren Wohnzimmern als eine unverwüstlich eloquente Sprechmaschine, die uns mit unseren eigenen Unzulänglichkeiten konfrontiert.
Es ist also kein Wunder, vielmehr eine kluge Entscheidung der Senderverantwortlichen, in der Berichterstattung über den Orkan „Kyrill“ Reportergespräch an Reportergespräch zu reihen. Nicht obwohl, sondern gerade weil die Reporter relativ wenig zu berichten hatten. Sie selbst waren die Nachricht. DENK