Punks in Peking: "No matter what"
Punk in China, ein weiteres Konsumphänomen? Falsch: In einem Land, in dem individuelle Glückssuche verpönt ist, sind Müßiggang und Rausch noch wirklich politische Statements.
Dürre Jungs in übergroßen Hemden und in ausgewaschenen rosa Röhrenjeans stehen vor der Bühne, ein billiges Bier in der Hand. Daneben rauchende Mädchen mit bunten Haaren und zerrissenen Netzstrümpfen. Dazu ein paar lässig nach hinten geschobene Strohhüte. Ein Gewitter aus drei Akkorden geht über ihnen nieder, produziert von einem betrunkenen Sänger und einem Gitarristen, vielleicht auf E, vielleicht auf H, in kurzen Hosen, mit locker sitzendem Lederschlips. Wir befinden uns weder in London 1977 oder im New York der frühen Achtzigerjahre, sondern in einem Club im Peking der Olympischen Spiele.
Vier Bands spielen am Samstagabend im Mao Live House beim Pekinger Glockenturm. Es ist die längste Punk-Rock-Nacht während der Olympischen Spiele. Der Sänger der Gruppe PK 14 sagt: "Die Spiele interessieren mich nicht. Sie sind kommerziell, politisch und Propaganda."
Umso erstaunlicher, dass die Party trotzdem abgeht. Das Konzert ist ausverkauft, der Saal mit 300 Leuten rappelvoll. Gekommen ist nicht das vertraute, kleine Pekinger Punkpublikum, sondern eher die Großstadtschickeria, die erst nach Mitternacht, bei der letzten Band namens Hualun, richtig in Ekstase gerät. Die Sängerin schmiert sich mit einer Geburtstagstorte die Haare voll, wirft Kuchenstücke in Fangesichter, dann ist plötzlich Stimmung. Ein Typ mit Irokesenschnitt klettert auf die Bühne, tanzt mit der Sängerin.
Anschließend erklärt er die Pekinger Punkwelt: "Punk ist in China etwas für Leute ohne Macht, ohne Geld, für Arbeitslose." Er trägt rote Coca-Cola-Ohrringe, zeigt seine Tattoos. Unter der Oberlippe trägt er ein Anarchie-Zeichen. Er sagt, Olympia als Sportparty wäre okay, aber wegen der Proteste gegen China im Ausland seien jetzt viele seiner Freunde nicht gut drauf. Die ausländische Kritik gehe ihnen genauso auf die Nerven wie die viele Polizei in Peking. Viele seiner Freunde seien von Beamten aufgesucht und gewarnt worden. Deshalb verhalte man sich jetzt eher ruhig. Im Mai habe es noch ein Punk-Konzert unter dem Motto: "Willkommen in Peking - Fuck the Olympics" gegeben. Das sei jetzt unvorstellbar. "Manches ist unangenehm, aber sie können uns nichts anhaben", sagt er.
Doch er ist noch nicht fertig. Er will nach seiner Kritik an der Polizei auch noch etwas Gutes über die Regierung sagen, hält seine Hand aufs Punkerherz und spricht: "Ich liebe Wen Jiabao (Chinas Premierminister, d. R.), er war schon 1989 für die Studenten, er war jetzt zwei Stunden nach dem Erdbeben in Sichuan auf dem Weg zum Katastrophenort, er ist ein toller Mann", sagt er. Chinesische Punker wollen eben nicht nur protestieren.
GEORG BLUME
Wer China nur aus der derzeitigen Medienberichterstattung kennt, der wird an diesem Ort staunen. Denn hier scheint sich niemand für Themen wie Pressefreiheit oder Menschenrechtsverletzungen zu interessieren, die derzeit den Westen umtreiben. Und auch nicht für die schnellstmögliche Anhäufung von Wohlstand und den Aufstieg auf der sozialen Leiter - für gesellschaftliche Umbrüche, für die China in den letzten Wochen ein Synonym geworden zu sein scheint.
Pekings Punkszene ist klein, wird aber größer. Immer öfter sieht man jetzt auch tagsüber junge Hipster und Dandys betont verlangsamt durch die Straßen schlendern. Sie passen so gar nicht ins Bild eines totalitär beherrschten, konformen Landes, in dem der Mao-Kittel leichthändig gegen hektischen Konsumrausch ausgetauscht wurde. In der Gulou Dongdajie zum Beispiel, der Kastanienallee oder dem St. Pauli von Peking, befindet sich der Secondhandladen von Liu Hao, dem Bassisten der Pekinger Kultband Joyside. Hier verdient er sich seine Miete, indem er ausgewaschene Levis und T-Shirts mit Ramones-, Sex-Pistols- und New-York-Dolls-Aufdruck verkauft. Man braucht sich nur ein halbes Stündchen zu den Jungs im Laden zu setzen, die hier täglich abhängen, Whiskey trinken und Karten spielen, und schon hat man verstanden: Hier geht es nicht um den Abklatsch westlicher Mode, um Ausdifferenzierung und Distinktion durch größeres Warenangebot. Diesen Jungs ist herzlich egal, dass sich unter Chinas Auserwählten dank Internet derzeit jeder aus der großen Klamottenkiste der westlichen Jugendkultur nimmt, was ihm passt - und dabei wenig darauf achtet, ob es nun Old School ist oder vielleicht doch eher eine Kopie der Kopie der Kopie, ob das Anarchiezeichen an der richtigen Stelle sitzt oder die Converse die richtige Farbe haben. Auf dem Spiel steht weitaus mehr. Bian Yuan zum Beispiel, der charismatische Sänger von Joyside mit den Pünktchenhemden und der Zottelfrisur: Er schläft seit Jahren auf dem Sofa von Freunden, lebt von der Hand in den Mund und sagt, dass er sich ebenso wenig für die Regierung interessiert wie die Regierung für ihn. Oder Liu Ke, der nicht weniger charismatische Sänger der Pekinger Skaband The Linga, der sich eine Träne unters Auge tätowiert hat, so, wie er es einmal in einem amerikanischen Knastfilm gesehen hat. Er sagt in gebrochenem Englisch jedem, der es hören will: Meine Seele ist Punk, ich wurde als Punk geboren und werde immer Punk bleiben. "No matter what."
Es geht also ums Große und ums Ganze, um den Kern des Punk, um Verweigerung an sich - und zwar nicht nur im Sinne von Kritik an Gesellschaft und Staat à la "The Queen is Dead". In einem Land, in dem es individuelle Glückssuche und alternative Lebensentwürfe immer schwerer hatten als anderswo, sind Müßiggang und Rausch womöglich weitaus stärkere Statements als einfacher politischer Protest. Fragt man Bian Yuan oder Liu Ke etwa, warum sie so viel trinken, dann werden sie schnell ein Gedicht des großen chinesischen Lyrikers Li Bai aus dem 8. Jahrhundert aus der Tasche zaubern - und zwar von der ersten bis zur letzten Zeile. Li Bai wird in China bis heute von allen Bohemiens dafür geliebt, dass er oft seine Zeche nicht bezahlen konnte und mit kaltem Wasser übergossen werden musste, bevor er dem Kaiser vorgeführt werden konnte. Rausch war ihm ein Mittel zur Kontemplation. Anders als seine Dichterkollegen glaubte er nicht, dass sich der Einzelne nach den Lehren des Konfuzius den Interessen der Gemeinschaft unterzuordnen hat. Er hielt sich an die Lehren Lau Tses, des Begründers der daoistischen Philosophie. Und dieser riet eher dazu, nicht in den natürlichen Lauf der Dinge einzugreifen und sich lieber in die Berge zurückzuziehen.
Auch Bian Yuan, der Sänger von Joyside, hat sich bis auf Weiteres und mindestens bis zum Ende der Olympischen Spiele zurückgezogen - zwar nicht in die Berge, aber in die autonome Provinz Xinjiang, also dahin, wo die derzeit medial recht präsenten muslimischen Uiguren herkommen. Hier, in den "weitesten Wäldern der Welt", wie er sagt, ist er aufgewachsen. Seine Eltern wurden während Mao Zedongs Kulturrevolution nach Xinjiang verbannt. Und das haben sie anders als ihr Sohn wohl eher als Strafe empfinden müssen - so wie sie auch Bian Yuans Entschluss, trotz guter Noten nicht zu studieren, als Schlag vors Gesicht wahrgenommen haben. Wer jung war, als 1966 die Kulturrevolution ausbrach und fast ein Jahrzehnt lang auf Schule und Universität verzichten musste, dem müssen die Möglichkeiten von heute als Geschenk erscheinen und als ein Narr, wer dieses ausschlägt. Mit Mitte zwanzig das Studium abzuschließen, zu heiraten, ein Kind zu bekommen und ein Haus oder eine Wohnung zu kaufen: Das erscheint in China heute nach wie vor den meisten als ultimatives Lebensziel. Umso mutiger, wer sich dem entzieht.
In einigen der interessantesten Romane und Filme aus China derzeit wird die Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens am 4. Juni 1989 als das abrupte Ende einer Revolte gesehen, bei der es weniger um politische Ziele ging als um Aufbruch, um einen stürmischen Kampf um freie Liebe, Drogen und Rock n Roll. Während man Anfang der Achtzigerjahre noch jede Liebesbeziehung der Partei melden musste und angespuckt werden konnte, wenn man auf der Straße Händchen hielt, kam es jetzt plötzlich in Mode, auf Studentenpartys eng umschlungen zu tanzen. Doch dann wurde die Revolutionierung der Lebensstile brutal gestoppt. Sie kommt womöglich erst jetzt in Schwung.
Es gibt jedenfalls schon ältere chinesische Intellektuelle, die noch wissen, dass es auch damals schon Rock n Roll in China gab, dass sich aber niemand traute, ihn auf die Straße zu tragen. Vielleicht sind diese Leute jenseits der dreißig in ihren Hoffnungen gescheitert. Sie halten die jungen Punks von heute für Helden und Hoffnungsträger. Ja sogar für Engel der Geschichte. Die Jungen, so scheint es, haben bessere Chancen, ihre Träume zu leben.
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