Pünktlichkeitsgarantie im Nahverkehr: HVV zeigt guten Willen
Bei großen Verspätungen erstattet der HVV seinen Fahrgästen neuerdings den halben Fahrpreis. Sofern die bereit sind, sich die dafür nötige Mühe zu machen.
HAMBURG taz | Auf den ersten Blick ist die neue Garantie des HVV ein Beispiel für vorbildlichen Service: Ab einer Verspätung von 20 Minuten erstattet das Verkehrsunternehmen seit dem 11. Januar seinen Fahrgästen den halben Fahrpreis - mindestens jedoch einen Euro pro Fahrt. Dabei ist egal, ob nun Unfälle, das Wetter oder Staus zu der Verspätung geführt haben: Wer innerhalb von drei Tagen nach der verspäteten Fahrt auf der Homepage des HVV ein Formular ausfüllt oder eine Servicenummer anruft, hat Chance auf die Rückerstattung - auch bei Wochen- oder Monatstickets. Für die Pauschalbeträge bei diesen Zeitkarten richtet sich das Unternehmen nach Durchschnittspreisen, die es anhand der selbst erhobenen Fahrgewohnheiten der Kartenkäufer ermittelt. Der Kunde erhält per Mail einen Erstattungsbeleg, den er in HVV-Filialen einlösen kann.
Mit dem Versprechen geht das Unternehmen allerdings kein großes Risiko ein, wie Martin Potthast, Sprecher der Fahrgast-Initiative Hamburg meint: "Verspätungen von mehr als 20 Minuten sind äußert selten." Natürlich könne es insbesondere im S-Bahn-Verkehr zu solchen Verspätungen kommen, Potthast selbst ist das aber noch nicht passiert. Die neue Garantie sei zu pauschal und die Regelung für Zeitkarten zu bürokratisch. "In Einzelfällen können auch wesentlich geringere Verspätungen viel schwerwiegendere Folgen haben", so der Sprecher der Fahrgast-Initiative. Potthast fordert stattdessen, die Ursachen für solche Verspätungen zu beseitigen. Ersatzzüge müssten eingesetzt und die Fahrpläne auch in Randgebieten dichter werden. Wenn es schnell gehen muss, solle der HVV auch für Taxifahrten der Fahrgäste aufkommen.
Dieser Forderung erteilt Gisela Becker, Sprecherin des HVV, eine klare Absage. Man könne nicht jede Verärgerung der Kunden aufwiegen. Die neue Garantie solle vielmehr den guten Willen des Unternehmens zeigen und ein Trostpflaster sein. Dem Vorschlag, mehr Züge in Außenbereichen einzusetzen, entgegnet Becker: "Wir müssen uns nach der Kundennachfrage richten - und die ist und bleibt im Hamburger Stadtgebiet nun mal am größten."
Im Gegensatz zur Fahrgast-Initiative begrüßt der Fahrgastverband Pro-Bahn die neue Garantie. "Im innerstädtischen Verkehr sind derartige Verspätungen natürlich sehr selten, aber speziell in den Außenbereichen ist die Garantie eine nette Geste", sagt Birger Wolter, Sprecher von Pro-Bahn. "Verpasst man auf den Strecken nach Kiel oder Büchen einen Zug, kann man schon mal eine Stunde warten", sagt er. Positiv empfindet Wolter zudem den möglichen Effekt auf Fahrgäste: "Durch die Rückerstattung schafft man Anreize, seinem Ärger Gehör zu verschaffen und sich zu beschweren", so Wolter. Dennoch würden sich verhältnismäßig wenige Fahrgäste die Mühe machen, das zeigen laut Wolter bereits ähnliche Aktionen anderer Verkehrsbetriebe wie der Deutschen Bahn.
Was der HVV letztlich erstattet, wird häufig nur der Mindestbetrag sein: Bei CC-Tickets sowie Tages- oder Monatskarten im Großbereich erhält man grundsätzlich nur einen Euro zurück. In diesem Bereich - dem Hamburger Stadtgebiet - macht der Verkehrsverbund weit mehr als die Hälfte seines Umsatzes. Wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass Kunden für einen Euro auf die HVV-Homepage gehen, drei Tage auf den Beleg warten und ihn dann im Kundencenter vorlegen, kann man sich ausrechnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“