Psychologie: Rechter Mummenschanz
■ Die Grünen luden zum Fachgespräch: Wie benutzen Rechte die Geschichte?
„Wir dürfen uns nicht auf das ,Spiel Nationalsozialismus' einlassen. Das hilft nur den rechtsradikalen Parteien, die diese Jugendlichen haben wollen.“ Hermann Kuhn, wissenschaftspolitischer Sprecher der Grünen, fasste am Ende des zweiten grünen Werkstattgespräches zur Bildungspolitik zusammen, was der Referent, Martin Altmeyer, zuvor erzählt hatte. Eine der Hauptthesen des Psychologen ist, dass der deutsche Faschismus quasi nur ein Kostüm ist, das sich gewaltbereite Jugendliche überziehen. „Rechtsradikale benutzen den Nationalsozialismus, weil er ihnen in der Gegenwart als nützlich erscheint.“ Nützlich, weil er ihrem Bedürfnis nach Provokation und Tabubruch entgegenkommt. Wie bei der religiösen Verkleidung des amerikanischen Ku-Klux-Klan, oder der eher kulturell orientierten englischen Rechten liefert die Geschichte eines Landes einen Mantel für die rassistischen Aktivitäten der Jugendlichen. Denn darum handele es sich im Kern, um weißen Rassismus.
Die meisten der rund siebzig Lehrer, Schüler und Sozialpädagogen, die der Einladung der Grünen gefolgt waren, konnten dieser These einiges abgewinnen. Jugendliche ,Neonazis' sind nicht parteipolitisch festgelegt. Allerdings – so Altmeyer – wird ihre tendenziell rechte Einstellung durch die Idee der deutschen Leitkultur und durch ein „vordemokratisches Blutsrecht bei der Staatsbürgerschaft“, nicht gerade sanktioniert.
Der spannendere, von einem Teil des Publikums aber als „zu abstrakt“ empfundene Abschnitt seines Referats betraf das gesellschaftliche ,making of' der Neonazis. Identität, so stellte Altmeyer eine psychoanalytische These vor, bildet sich „zirkulär“. Das heißt nichts anderes, als dass jede Spiegelung, die den Gewalttäter zum Rechtsradikalen erklärt, zu einem Teil seiner Identität wird. Die „schwarze Pädagogik“ der Verbote und der Polizeigewalt verfestige bei den Jugendlichen die Phantasie des Verfolgt-Werdens. Die nachsichtige Betreuung – etwa bei der akzeptierenden Jugendarbeit – lockere dagegen die ohnehin nicht besonders ausgeprägte Realitätsbindung der Jugendlichen, weil sie deren Gewaltbereitschaft ausblende. Und die Antifa schließlich „fördere das rechte Projekt“ weil sie sich als ebenfalls undemokratischer Wunschgegner anbiete.
Was tun, fragte man sich also, denn immerhin verfolgen die Werkstattgespräche auch das Ziel, Handlungswege aufzuzeigen – für Lehrer, Pädagogen und für Politiker. Kommunikation statt Exkommunikation könnte man die Antwort Altmeyers zusammenfassen. Ein Verbot der NPD sei die Verdrängung „schwieriger soziale Fragen.“ Dazu gehöre neben der „sozialpsychologisch gescheiterten Wiedervereinigung“ auch die Korruption im deutschen Parteiensystem. Erstaunlich schnell ließ sich das Publikum auf die These ein, die Aktivitäten der Skins und Neonazis richteten sich gegen die68er Generation, zu deren moralischen Normenbestand die Scham, Deutscher zu sein, gehöre. Mit ihrem Konzept des „edlen Asylbewerbers“ hätten sie zudem die Debatte über die Schwierigkeiten der multiukulturellen Gesellschaft, erschwert. hey
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