Psychogramm einesTriebtäters

■ Theater Mafia: „Jürgen, Heintje, Morde. Experiment Bartsch“

Quack ist der kleinste Riese der Welt und dennoch ein ansehnliches Monster. Quack ist als Zeichentrickfigur der erste Protagonist, der im Theater im Zimmer zu sehen ist. Dann betreten zwei Schauspieler die Bühne, schnippsen den Fernseher aus und sind – Quack, Zuschauer, Jürgen Bartsch, dessen Lehrer, dessen Opfer? Eine Unschärfe, die diese theatralische Annäherung an den jugendlichen Kindermörder der sechziger Jahre bestimmt.

Jürgen, Heintje, Morde. Experiment Bartsch, die zweite Produktion der Hamburger Theatermafia, bewegt sich permanent im Spannungsfeld zwischen Dokumentation und Spiel. Philipp Hochmair und Matthias Pantel spielen nicht Jürgen Bartsch, sondern Facetten einer Psyche, Erfahrungen eines Lebens, Meinungen einer Gesellschaft. Das ermöglicht wunderbare Dialoge zwischen konkurrierenden Wünschen Bartschs – mal gegenseitiges Anstacheln, mal geschwisterliches Gerangel zwischen Verlangen und dem Wissen um Unrecht – und macht so das Psychogramm sinnlich.

Fast alle verwendeten Texte stammen von Bartsch selbst. Episoden seiner Biographie wechseln sich ab mit Videosequenzen, Tonbandprotokollen und heutigen Blicken auf das Material. Die beiden Darsteller sind auch staunende Leser und Erzähler, Autoritätspersonen und Opfer. Oft ist der Übergang von Bartsch in den ihn erziehenden Pater oder den von ihm ermordeten Jungen fast nicht zu bemerken. Jedes Opfer ist so ein Teil von Bartsch, jedes Erlebnis äußerer Autorität eine in ihm weiterlebende Erfahrung. Das vernetzt das Einzelschicksal mit der Gesellschaft und erschließt Zusammenhänge.

Leider macht es auch dem Zuschauer den Griff zu einfachen Erklärungsmustern leicht. „Ach, du hattest eine schwere Kindheit, wurdest mißhandelt, ist ja klar, daß du ein Triebtäter wirst“, sagt auf der Bühne eine Bartsch-Version zur anderen. In der Inszenierung von Mario Holetzeck ist das ein wunderbarer Moment, doch geht der Abend als Erklärungsversuch über dieses Statement nicht wesentlich hinaus.

Eine Faszination für die Vielschichtigkeit des Phänomens Bartsch entsteht weniger dort, wo die Produktion nach Zusammenhängen sucht, als eher in den gelungenen Verflechtungen mit aktuellen Parallelen und Stimmungsbildern der sechziger und siebziger Jahre oder in Bartschs überraschender Haltung zu seinen Verbrechen. Reflektierte moralische Beurteilung steht unmittelbar neben naiver Schilderung grausamer Tatdetails, eigenen Erklärungsansätzen und Visionen von einem anderen Leben. Oder faszinierenden Details seiner Aussagen, wie dem, daß sein letztes Opfer nur entkommen konnte, weil er immer pünktlich zum Essen nach Hause ging.

Matthias von Hartz

bis 13. Juli, täglich außer Montag, 20 Uhr, Theater im Zimmer