Prêt-à-porter: Küchenmagd und Scheherazade
■ Für fahrendes Volk: Sachliche Nadelstreifen auf Türkisblau bei van Noten
Morgens um 9.00 Uhr bei Junya Watanabe: Nach etwas Gedrängel hatte ich einen guten Platz, so dachte ich zumindest, bis plötzlich direkt neben mir eine Boeing zur Landung ansetzte! Mein Trommelfell nur durch reine Willensstärke unversehrt haltend, wollte ich mich gerade panisch unter die Sitzbank meines Vordermannes werfen, als dieser sich umdrehte und einen entsetzten Blick nach oben warf: Wir standen direkt unter dem Lautsprecher: Jimi Hendrix! Während der keineswegs zu früh Verblichene seine Gitarre malträtierte, bewiesen die Journalisten, daß sie ihr Gehalt wert sind, indem sie sich gleichzeitig die Ohren zuhielten und mitschrieben.
Mannequins in schwarzen Lederkleidern betreten den Laufsteg. Ein Kleid hat am Rücken einen tiefen Ausschnitt, der großzügig noch das obere Drittel der Hinterbacken des Models freilegt, aber nackt möchte man sie trotzdem nicht nennen, denn ihr Rücken bedeckt ein prächtiges Tattoo. Das Leder ist kräftig und trotzdem weich und fließend. Bei einigen ist der obere Teil auf Taillenhöhe in den unteren gesteckt. Trotz des schwarzen Leders erinnern die Kleider an griechische Gewänder. Watanabes Jacken sehen von vorn wie strenge Jacketts aus und von hinten wie Capes. Dieser Effekt rührt daher, daß das Rückenteil etwas breiter als das Vorderteil ist. So schiebt sich der Jackenrücken etwas über die Arme. Die Ärmel selbst – meist aus Stoff – sind durch die Ärmellöcher nutzlos ins Innere der Jacke gesteckt. Die vordere Naht der Ärmellöcher ist offen, und durch diese Öffnung kann die Trägerin ihre Arme nach draußen stecken. Klingt kompliziert, aber tatsächlich sind diese Jackett-Capes von schönster Einfachheit. Watanabe ist so unverkennbar ein Kawakubo-Schüler, daß man beide zwangsläufig miteinander vergleicht: Kawakubos Kollektionen gefallen mir nie so eindeutig wie die ihres Schülers. Das spricht für sie.
Dries van Noten bat diesmal in ein altes Lagerhaus. Es gab heißen Tee, Mandeln und türkisches Gebäck. Die gewölbten Decken waren mit Netzen überspannt, an denen Hunderte von kleinen Lichtern blinkten. Leider war der Raum nicht beheizbar. Aber als es losging, war das egal. Den Hauptbestandteil von van Notens Kollektion bildeten strenge Anzüge und orientalische Kleider – aber zusammen getragen. Es war wundervoll! Stellen Sie sich einen klassischen braunen Nadelstreifenanzug vor: Schmale Hosen mit Bügelfalte, dazu ein strenges, hochgeschlossenes beiges Herrenhemd. Um die Beine weht ein knöchellanger Rock aus bedruckter Seide. Darüber dann wieder ein herrisches Jackett. Haben Sie das? Dann applizieren Sie im Geiste rote und goldene Ornamentstickereien auf den Hemdkragen, und schließlich muß noch etwas Farbe auf das Kleid: Der Untergrund ist strahlend türkisblau, darüber ein üppiges Muster in rosa, orange und braun. Zusätzlich ist der Stoff noch mit silbernen Lurexfäden durchzogen! Einige der Kleider waren aus festerem Stoff, eng um den Körper gewickelt, knapp knielang und mit einem Muster, das man eher auf so altmodischen Küchenkitteln findet. Andere waren luxuriös mit vier verschiedenen orientalischen Mustern bedruckt. Und dazu diese sachlichen Nadelstreifenanzüge oder Militärjacken! Alles zusammen ergab die schönste Mischung aus Dame, Küchenmagd und Scheherazade, die man sich vorstellen kann. Und gleichzeitig hatte die Kollektion etwas Robustes: Bei allem Glanz erinnerte sie auch an fahrende Leute, wie Zigeuner oder Traveller, die häufig mehrere Kleidungsstücke übereinanderziehen und Muster miteinander kombinieren, die der Bürger gewöhnlich für unvereinbar hält. Die Zuschauer spendeten begeistert Beifall: mit kaltem Hintern, aber warmem Herzen. Anja Seeliger
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