Prêt-à-porter: Neues vom Schlitzohr
■ Littbarski-Beine in Strumpfhosen: Jean-Paul Gaultier gilt zu Recht als ganz großer Mode-Revolutionär des Westens
Als Anfang des Jahres in Paris die Prêt-à-porter-Schauen für Männer stattfanden, gab es eine Sensation, die kaum Schlagzeilen machte: Jean-Paul Gaultier zeigte die erste Haute-Couture- Kollektion für Männer. Und das war wirklich etwas! Redingoten aus purpurrotem Samt, mit schmalen Schultern und einem weit ausgestellten Rock. Der kurze Schalkragen und die weiten Ärmel waren mit schwarzem Satin besetzt. Es gab geraffte Samtblusen, die mit künstlichem Nerz verbrämt waren, kurze Pullover aus schwarzem Lack und Hosen aus Neopren. Oder dies: Ein schwarzes, mit Blumen besticktes Satinkleid mit kurzen Ärmeln und einem Stehkragen. Um den Oberkörper sitzt das Kleid hauteng, die schmale Taille wird betont durch die Abschlußkante, die wie bei einem chinesischen Kleid schräg verläuft, an der Seite von drei Knebelknöpfen gehalten. Der schmale knöchellange Rock ist beidseitig bis zur Hüfte geschlitzt. Darunter eine Hose, die sich nur beim Gehen um die Schenkel spannt.
Getragen wurde das Kleid von einem kräftigen Model, dessen muskulöse Oberarme durch die kurzen Ärmel großartig zur Geltung kamen. Für den Abend gab es flattrige Hosen aus violetter Seide. Dazu ein weißes Smokinghemd, dessen Ärmel sich über den Manschetten leicht bauschten, und darüber eine Korsage aus schwarzem gerafftem Samt. Um die Brust loderte ein Flammenkranz: Leuchtend rote Federn, die in den oberen Rand der Korsage gesteckt waren. Ein Mann muß nicht schwul sein, um Gaultiers Kleider zu tragen. Er sollte nur keinen Bauch haben.
Gaultiers Schau für die Frauen-Prêt-à-porter war in einem ganz anderen Stil gehalten. Mit unerhörter Aggressivität rissen sich die Models am Ende des Laufstegs die klassischen Anzüge vom Leib. Nadelstreifenjacketts und klassische Herrenhemden, die mit Krawatte und Weste getragen wurden – alles hing in Fetzen vom Oberkörper. Aber ganz so war es dann doch nicht: Anzüge, Hemden und Westen hatten im Rücken Reißverschlüsse, die bis zur Taille reichten und von den Models blitzschnell geöffnet wurden. Aggressiv auch der Rest der Kollektion: Die Hosen saßen vorn auf Hüfthöhe. Hinten waren sie so tief ausgeschnitten, daß der halbe Hintern entblößt war. Darunter saß ein pinkfarbener G- String, über den eine dünne gelbe Nylonstrumpfhose gezogen war. Der Bund saß in der Taille, so daß er über die Hose lugte.
Einige Models trugen Hemd, Weste, Jackett und keine Hose. Dafür stapften sie auf Pierre-Littbarski-Beinen über den Laufsteg! Über die Waden hatten sie weiße Kniestrümpfe aus dicker Wolle gezogen, die oben umgeschlagen waren. Darüber eine durchsichtige schwarze Nylonstrumpfhose, die über dem Knöchel abgeschnitten war, und Gamaschenschuhe mit hohen Absätzen. Die Strumpfhose hatte eine blickdichte Verstärkung, die von der Taille etwa fünf Zentimeter auf die Oberschenkel reichte. Darüber saß ein winziges Bikinihöschen mit langen Bändern an den Seiten, die schaurig kokett um die plumpen Knöchel baumelten. Es war unbeschreiblich. Grandios!
Wenn ein westlicher Modedesigner die Bezeichnung Revolutionär verdient, dann ist es Jean- Paul Gaultier. Nicht weil er es wagt, häßlich zu sein – das haben andere auch schon gezeigt –, sondern weil er bei Frauen und Männern gleich viel wagt. Das krasse Gegenstück zu ihm ist Dirk Bikkembergs, über den zu Beginn der Schauen berichtet wurde. Bikkembergs, fast dreißig Jahre jünger als Gaultier, kombiniert bei seiner Frauenmode gern harte und weiche Materialien: Zu seinen Lederhosen zeigte er hauchdünne Hemden, die den Körper umflatterten. Jede seiner scharf geschnittenen Jacken wurde offen getragen und legte die nackten Brüste frei. Doch seine Männer: Anzüge, die so hart und eckig sind, daß seine Models wie Terminatoren daherschreiten. Jede Jacke bis unters Kinn zugeknöpft. Dazu klobige, fast quadratische Schuhe. Mit mordsmäßig dicken Sohlen, die alles zertreten, was sich ihnen in den Weg stellt. Wo ist da das Wagnis? Anja Seeliger
Fortsetzung folgt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen